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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)
Autoren: Robert Littell
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mit der geraden, hohen Lehne, wie er in jeder russischen Küche steht. Und ich kenne auch den dreibeinigen Hocker, auf dem ich sitze. Als Erstes habe ich das aschfahle Licht wiedererkannt und die bleierne Schwere, die durch den Fensterschlitz da oben in der Wand sickert. Sollte zudem ein unangenehmer unidentifizierbarer Geruch im Raum hängen – ich wäre die Letzte, der es auffiele. Ich rieche nichts mehr, seit einer der Wärter mir in der Nacht meiner Verhaftung die Nase gebrochen hat. Um Ihre Frage zu beantworten: Ich befinde mich in einem der unteren Stockwerke der Lubjanka. Hier sitzen Landesverräter. Ich erkenne sogar das Kreischen der Bremsen, wenn eine der Straßenbahnen draußen auf dem Dserschinski-Platz hält. {Pause} Lieber Gott, wenn nur all das Kreischen, das ich in diesem Gebäude gehört habe, von Straßenbahnbremsen stammen würde.«
    »Gefangene Modinskaja, die Genossen Wärter haben beobachtet, dass Sie mit den Wänden Ihrer Zelle reden. Ich muss Sie daran erinnern, dass das Sprechen im Zellenblock einen groben Verstoß gegen die Regeln darstellt und ernste Konsequenzen nach sich zieht.«
    »In der Lubjanka sprechen die Gefangenen oft mit den Wänden. Sie brauchen ein mitfühlendes Ohr. Wenn die Wände antworten würden, könnte ich Ihre Sorge verstehen, das wäre eine Unterhaltung. Aber bis jetzt ist die Wand in meiner Zelle, die sich zweifellos Ihrer Regeln bewusst ist, stumm geblieben.«
    »Gefangene Modinskaja, Sie wurden für schuldig befunden, eine britische Agentin zu sein, und von einem Sondertribunal zur Höchststrafe verurteilt. Sie werden direkt nach diesem Verhör erschossen.«
    »Die Sachen, die ich bei meiner Verhaftung getragen habe, sind nur noch Lumpen. Ich brauche angemessene Kleidung.«
    »Angemessene Kleidung?«
    »Ein Kleid. Im Schrank in einem der Zimmer, die ich mir mit meinem Vater teile, hängt ein langes graues. Es hat einen schlichten Samtkragen, der sich bis zum Hals zuknöpfen lässt, lange Ärmel und Manschetten aus Seide. Ich brauche auch saubere Unterwäsche und Strümpfe.«
    »Ich verstehe nicht. Wofür muss das Kleid angemessen sein?«
    »Sind Sie begriffsstutzig?«
    »Eine Gefangene in Ihrer heiklen Situation sollte sich hüten, eine Tschekistin zu beleidigen.«
    »Wie der verurteilte Gefangene Mali einmal bemerkte, macht sich jemand, der nur Minuten davon entfernt ist, mit einer großkalibrigen Pistole durch einen Genickschuss hingerichtet zu werden, keine Gedanken darüber, ob er eine Tschekistin beleidigt. {Pause} Die Kleider sollten für eine Beerdigung angemessen sein.«
    »Es wird keine Beerdigung geben. Hingerichtete Gefangene kommen in ein Gemeinschaftsgrab.«
    »Sie können im Januar keine Gefangenen hinrichten. Wenn der Boden gefroren ist, lassen sich keine Gemeinschaftsgräber ausheben.«
    »Wir befinden uns in der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken des Generalsekretärs Stalin, nicht in Chiang Kai-sheks China. Unsere Arbeiter sind mit Erdbewegungsmaschinen ausgerüstet, mit denen sich auch noch im kältesten Winter Gräben hinter dem Nowodewitschi-Friedhof ausheben lassen.«
    »Ich hoffe bei Gott, Sie werfen da nicht Männer und Frauen zusammen hinein. Stellen Sie sich vor, bis in alle Ewigkeit neben einem Mann liegen zu müssen, den Sie nicht mal kennen. {Pause} Am Abend meiner Verhaftung war ich noch Jungfrau, aber die Genossen Befragungsbeamten haben dem mit einer Wodkaflasche ein Ende gesetzt. Sie haben mir mit den Fäusten auf die Brüste geschlagen und dabei geschrien, dass ich reinen Tisch machen solle. ›Unterschreib das Geständnis, und du bist deine Sorgen los‹, haben sie geschrien. Wieder und wieder. ›Was soll ich gestehen?‹, habe ich gefragt. Mir ist nie von den Trotzkisten befohlen worden, den hochgeachteten Josef Wissarionowitsch zu töten. Mir ist auch nicht befohlen worden, Scherben in Mehlsäcke zu schmuggeln, um die Brotproduktion zu sabotieren. Ich bin nie vom britischen Secret Intelligence Service angeworben worden, um den Engländer zu diskreditieren. ›Ich würde Ihr Papier ganz sicher unterzeichnen, wenn ich eines von diesen Verbrechen begangen hätte‹, habe ich ihnen erklärt. {Pause} Ich glaube nicht, dass sie mich gehört haben.«
    »Gefangene Modinskaja, erinnern Sie sich, welchen Rang Sie vor Ihrer Verhaftung innehatten?«
    »Ich war Oberleutnant in der fünften Abteilung der zweiten Hauptverwaltung des NKWD und genau wie Sie Hauptmann Gussakow unterstellt.«
    »Dem verstorbenen Hauptmann Gussakow. Ein
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