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Pharmakon

Pharmakon

Titel: Pharmakon
Autoren: Robin Cook
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vorne oder hinten kommen sollte. Schließlich entschied sie sich für ersteres. Dann versuchte sie zu entscheiden, was sie nun mit sich anfangen solle. Sollte sie sich auf den Untersuchungstisch legen oder einfach herumstehen? Sie bekam auf dem gekachelten Boden mittlerweile kalte Füße und setzte sich deshalb auf die Kante des Untersuchungstisches.
    Einen Augenblick danach kehrte die Arzthelferin - offensichtlich in Eile - zurück.
    »Tut mir leid, daß Sie so lange haben warten müssen«, sagte sie mit einer angenehmen, wenn auch etwas gequälten Stimme. »Es sieht so aus, als ob wir mehr und mehr Patientinnen bekommen. Muß wohl ein neuer Baby-Boom sein.« Sie kontrollierte schnell Jennifers Gewicht und Blutdruck und schickte sie dann in die Toilette für eine Urinprobe. Als Jennifer zurückkam, wartete Dr. Vandermer schon auf sie.
    Jennifer war gutaussehenden Gynäkologen gegenüber immer argwöhnisch gewesen, und Dr. Vandermer rief diesen alten Vorbehalt wieder wach. Er sah eher wie ein Schauspieler aus, der eine Rolle spielte, als ein wirklicher Arzt. Er war groß und hatte dunkles Haar, das an den Schläfen silbrig wurde. Sein Gesicht war gleichmäßig mit einer scharfen Kinnlinie und einem geraden Mund. Er hatte eine Lesebrille auf der Nasenspitze und blickte über sie hinweg Jennifer an.
    »Guten Morgen«, sagte er mit einer Stimme, die nicht zur Unterhaltung einlud. Seine blauen Augen huschten zuerst über sie und dann über ihre Karteikarte. Die Sprechstundenhilfe schloß die Tür hinter ihnen und beschäftigte sich am Waschbecken mit dem Inhalt eines rostfreien Stahlbeckens.
    »Ah, ja. Sie sind Mrs. Schonberg, die Frau Adam Schonbergs, dieses Studenten im dritten Studienjahr«, sagte Dr. Vandermer.
    Jennifer wußte nicht, ob das eine Feststellung oder eine Frage sei, nickte aber und bestätigte, sie sei Adams Frau.
    »Das wäre wohl nicht die beste Zeit für sie, ein Kind zu bekommen, Mrs. Schonberg«, sagte Dr. Vandermer.
    Jennifer war schockiert. Wenn sie nicht nackt und verletzlich vor ihm gestanden hätte, wäre sie wütend geworden. Statt dessen fühlte sie sich in die Defensive gedrängt.
    »Ich hoffe, ich bin nicht schwanger«, sagte Jennifer. »Sie haben mir doch vor einem Jahr eine Spirale eingesetzt.«
    »Was ist mit der Spirale passiert?« fragte Dr. Vandermer.
    »Ich glaube, sie ist immer noch da«, sagte Jennifer.
    »Was wollen Sie damit sagen, Sie glauben, sie sei noch da?« fragte sie Dr. Vandermer. »Sie wissen es nicht?«
    »Ich habe es heute morgen noch kontrolliert. Die Fäden sind noch da.«
    Dr. Vandermer schüttelte den Kopf und deutete Jennifer damit an, er finde sie weniger als verantwortungsbewußt. Er beugte sich vor und schrieb schnell etwas auf die Karteikarte. Dann blickte er wieder auf und nahm seine Lesebrille ab. »In der Krankengeschichte, die Sie hier vor einem Jahr ausgefüllt haben, haben Sie angegeben, Sie hätten einen Bruder gehabt, der nur ein paar Wochen gelebt hat.«
    »Das stimmt«, sagte Jennifer. »Er war ein mongoloides Baby.«
    »Wie alt war Ihre Mutter zu der Zeit?« fragte Dr. Vandermer.
    »Ich glaube, ungefähr sechsunddreißig«, sagte Jennifer.
    »Das ist etwas, das Sie genau wissen sollten«, sagte Dr. Vandermer mit nur oberflächlich verschleiertem Ärger. »Stellen Sie das mit Sicherheit fest. Ich möchte diese Information auf der Karte.«
    Nachdem er seinen Kugelschreiber hingelegt hatte, nahm er sein Stethoskop heraus und unterzog Jennifer einer schnellen, aber gründlichen Untersuchung: er blickte in ihre Augen und Ohren und horchte ihre Brust und ihr Herz ab. Er schlug gegen ihre Knie und Fußgelenke, kratzte über ihre Fußsohlen und inspizierte jeden Zoll ihres Körpers. Er arbeitete in völligem Schweigen. Jennifer fühlte sich, als ob sie lediglich ein Stück Fleisch in Händen eines sehr fachgerechten Metzgers sei. Sie wußte, daß Dr. Vandermer gut war, und dennoch hätte sie etwas Wärme gebrauchen können.
    Als er fertig war, setzte sich der Arzt hin und hielt die Ergebnisse seiner Untersuchung schnell auf der Karteikarte fest. Dann befragte er Jennifer nach ihrer menstrualen Geschichte und nach dem Datum ihres Zyklus. Bevor sie irgendwelche Fragen stellen konnte, deutete er ihr mit einer Geste an, eine Steinschmittposition auf dem Gyn-Stuhl einzunehmen, und begann, das Becken zu untersuchen.
    »Entspannen Sie sich jetzt«, sagte Dr. Vandermer, der sich anscheinend daran erinnert hatte, daß seine Patientin wohl voller Sorgen war.
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