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Phantom

Phantom

Titel: Phantom
Autoren: Patricia Cornwell
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Radio und sah die Bilder im Fernsehen, aber ich war ahnungslos, bis in der Nacht zum 19. Februar um zwei Uhr einundvierzig das Telefon klingelte. In London war es zu dieser Zeit sechs Uhr einundvierzig und Mark bereits fast vierundzwanzig Stunden tot. Wesley versuchte, mir zu erklären, was geschehen war, aber ich war aus dem Tiefschlaf hochgeschreckt und begriff zunächst überhaupt nichts.
    »Das war gestern«, sagte ich. »Es kam gestern in den Nachrichten. Sie meinen, es ist noch einmal das gleiche passiert?«
    »Die Bombe ging gestern früh während der Stoßzeit hoch. Aber ich habe gerade erst von Marks Tod erfahren: Unser gesetzlicher Vertreter hat mich vor einer Minute davon unterrichtet.«
    »Sind sie sicher? Sind sie absolut sicher?«
    »Kay, es tut mir so leid!«
    »Man hat ihn zweifelsfrei identifiziert?«
    »Zweifelsfrei.«
    »Sie sind also sicher? Ich meine…«
    »Kay, ich bin zu Hause. Ich kann in einer Stunde bei Ihnen sein.«
    »Nein, nein. Danke.«
    Ich hatte am ganzen Körper gezittert, aber nicht weinen können. So war ich durch mein Haus gewandert, die Hände ringend und leise stöhnend.
    Patterson holte mich in die Gegenwart zurück. »Sie kannten diesen Charles Hale nicht, bevor er durch die Bombe verletzt wurde, Dr. Scarpetta?« Er betupfte seine Stirn mit einem seidenen Taschentuch.
    »Nein.«
    »Dennoch gaben Sie ihm zehntausend Dollar. Warum?«
    »Er und seine Frau wünschten sich schon lange sehnlichst ein Kind, konnten jedoch keines bekommen.«
    »Wie erfuhren Sie denn ein so intimes Detail über Ihnen völlig Fremde?«
    »Benton Wesley erzählte es mir, und ich schlug Bourne Hall vor, die führende Klinik für künstliche Befruchtung. Die Krankenkasse bezahlt hierfür allerdings nichts.«
    »Sie sagten, der Bombenanschlag fand im Februar statt, den Cashier’s check schrieben Sie aber im November aus.«
    »Ich hörte erst im Herbst von diesem Problem der Hales. Mr. Hale erwähnte die Kinderlosigkeit im Laufe eines Gesprächs, als das FBI bei ihm war, um ihm Fotos zur etwaigen Identifizierung der Attentäter vorzulegen. Ich hatte Benton Wesley schon lange davor gebeten, mir Bescheid zu geben, wenn ich etwas für Mr. Hale tun könne.«
    »Wenn ich Sie richtig verstehe, dann finanzierten Sie einem Ihnen völlig fremden Ehepaar eine künstliche Befruchtung.«
    Pattersons Stimme klang, als hätte ich ihm soeben mitgeteilt, daß ich an Trolle glaube.
    »So ist es«, bestätigte ich.
    »Sind Sie eine Heilige, Dr. Scarpetta?«
    »Durchaus nicht.«
    »Dann erklären Sie uns doch bitte Ihr Motiv!«
    »Charles Hale versuchte, Mark James zu helfen.«
    »Er versuchte ihm zu helfen?« Der Staatsanwalt hatte begonnen, auf und ab zu gehen. »Beim Kauf einer Fahrkarte? Einen Zug zu erreichen? Die Herrentoilette zu finden? Wobei half er ihm?«
    »Mark war nicht gleich tot. Charles Hale lag schwer verletzt neben ihm auf dem Boden. Er versuchte, Schutt von Mark herunterzuräumen, sprach mit ihm, zog seine Jacke aus und wickelte sie um… Er bemühte sich, die Blutung zu stoppen. Er tat, was er konnte. Es gab keine Möglichkeit, Mark zu retten – aber wenigstens war er nicht allein, als er starb. Ich bin Mr. Hale ungeheuer dankbar dafür. Und ich bin froh, daß ich etwas für ihn tun konnte, etwas von Bedeutung. Nein, ich bin keine Heilige, ich habe es auch für mich getan: Als ich den Hales half, half das auch mir.«
    Es war so still im Raum, als sei ich allein. Die Frau mit dem grellen Lippenstift beugte sich vor, um Patterson anzusprechen. »Ich nehme an, Charles Hale ist in England«, sagte sie, »aber ich frage mich, ob wir nicht Benton Wesley vorladen könnten.«
    »Es ist nicht nötig, einen von ihnen vorzuladen«, warf ich ein. »Sie sind beide hier.«
    Als die Sprecherin Patterson mitteilte, daß die Geschworenen keinen Grund für eine Anklage sähen, war ich nicht dabei, und ich war auch nicht bei Grueman, als er es erfuhr. Sobald ich meine Aussage beendet hatte, machte ich mich auf die Suche nach Marino.
    »Ich sah ihn vor etwa einer halben Stunde aus der Herrentoilette kommen«, sagte der uniformierte Officer, der rauchend neben dem Trinkwasserbrunnen stand.
    »Können Sie versuchen, ihn über Funk zu erreichen?«
    Mit einem Achselzucken löste er sein Funkgerät vom Gürtel und bat die Zentrale, Marino anzurufen. Er meldete sich nicht.
    Ich rannte die Treppe hinunter, hastete im Laufschritt zu meinem Wagen, ließ den Motor an, griff zum Telefon und rief im Hauptquartier an, das gegenüber dem
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