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Phantom

Phantom

Titel: Phantom
Autoren: Patricia Cornwell
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sagte ich.
    Trent begleitete mich. Ich sah, daß er meinen grauen Mercedes mit einem so bewundernden Blick betrachtete, als habe er eine schöne Frau vor sich. Dann wandte er sich wieder mir zu.
    »Was sagen Sie zu den Verletzungen? Haben Sie so was schon mal gesehen?«
    »Es besteht die Möglichkeit, daß wir es mit einem Täter zu tun haben, der zum Kannibalismus neigt«, antwortete ich.
    Ich fuhr ins Büro zurück, goß den flüssigen Teer, der sich in der Kaffeekanne abgesetzt hatte, in einen Becher, sah die Post durch und war gerade dabei, einen Stapel Laborberichte abzuzeichnen, als meine Sekretärin Rose hereinkam und einen Zeitungsausschnitt zu denen legte, die bereits auf meinem Schreibtisch lagen.
    »Sie sehen müde aus«, stellte sie fest. »Am Kaffee sah ich, daß Sie morgens schon mal hier waren. Wo sind Sie denn gewesen?«
    »In Henrico. Ein Junge, der wahrscheinlich auf meinem Tisch landen wird.«
    »Eddie Heath?«
    Ich starrte sie verblüfft an. »Woher wissen Sie das?«
    »Er steht in der Zeitung.«
    Ich bemerkte, daß sie eine neue Brille trug, die ihr aristokratisches Gesicht weniger streng erscheinen ließ. »Ihre Brille gefällt mir«, sagte ich. »Besser als diese Benjamin-Franklin-Fassung auf Ihrer Nasenspitze. Was steht denn über ihn in der Zeitung?«
    »Nicht viel. Nur, daß er hinter einem leerstehenden Lebensmittelgeschäft an der Patterson gefunden wurde und daß man auf ihn geschossen hat. Wenn mein Sohn noch so jung wäre, ich ließe ihn keine Umständen Zeitungen austragen.«
    »Eddie war nicht beim Zeitungsaustragen, als er entführt wurde.«
    »Egal. Ich würde es nicht erlauben – nicht heutzutage! Lassen Sie mich mal überlegen…« Sie legte den Finger an die Nase. »Fielding ist unten und macht eine Autopsie, und Susan ist unterwegs, um einige Gehirne zur Begutachtung zu MCV zu bringen. Ansonsten habe ich nichts Wichtiges zu berichten – außer, daß der Computer vorhin den Geist aufgegeben hat.«
    »Und – funktioniert er wieder?«
    »Margaret arbeitet daran. Sie müßte es bald geschafft haben.«
    »Gut Sie soll dann gleich etwas für mich raussuchen – unter den Stichworten ›schneiden‹, ›verstümmeln‹, ›Kannibalis mus‹ und ›Bißwunden‹. Ja, auch noch unter Herausgeschnittene ›Haut‹ und ›Fleisch‹. Und für alle Fälle soll sie ferner unter ›Gliedmaßenabtrennung‹ und ›Zerstückelung‹ nachsehen, obwohl das den Kern der Sache nicht treffen dürfte.«
    »Für welches Gebiet und für welchen Zeitraum?« Rose blickte von ihren Notizen auf.
    »Fürs ganze Staatsgebiet, in den letzten fünf Jahren. Mich interessieren besonders Kinder, aber wir wollen uns nicht auf sie beschränken. Und bitten Sie Margaret, sich auch an die Trauma Registry zu wenden. Ich sprach vor kurzem auf einer Tagung mit dem Direktor, und ergab sich sehr kooperationsbereit.«
    »Also auch Fälle, in denen das Opfer überlebt hat?«
    »Wenn möglich, ja, Rose. Wir dürfen keine Möglichkeit ungenutzt lassen, Fälle zu finden, die dem von Eddie Heath ähneln.«
    »Ich sage Margaret gleich Bescheid.« Rose verschwand.
    Ich begann, die Artikel durchzusehen, die sie mir aus verschiedenen Frühausgaben ausgeschnitten hatte. Es ging hauptsächlich und ausführlich um Ronnie Waddells angebliche Blutung »aus Augen, Nase und Mund«. Die örtliche Sektion von Amnesty International vertrat die Ansicht, daß diese Hinrichtung »genauso unmenschlich« gewesen sei »wie jeder x-beliebige Mord«. Ein Sprecher der American Civil Liberties Union sagte, der elektrische Stuhl habe »möglicherweise nicht richtig funktioniert«, wodurch Waddell habe »schrecklich leiden müssen«. Er verglich den Fall mit jener Hinrichtung in Florida, bei der zum erstenmal synthetischer Schwamm benutzt wurde, wodurch die Haare des Delinquenten Feuer fingen.
    Ich heftete die Zeitungsausschnitte in Waddells Akte und fragte mich, welche Kaninchen sein Anwalt, Nicholas Grueman, wohl diesmal aus dem Hut ziehen würde. Unsere Zusammenstöße waren schon zur Gewohnheit geworden. Mit wahrer Wonne stellte er meine berufliche Kompetenz in Frage und schaffte es immer wieder, daß ich mir unfähig vorkam. Dabei hatte er noch nie durchblicken lassen, daß er sich daran erinnerte, daß ich in Georgetown eine seiner Studentinnen gewesen war. Dies erboste mich am meisten. Er war schuld, daß ich mein Jurastudium im ersten Jahr verabscheute, daß ich meine einzige Zwei schrieb und in der »Law Review« nicht erwähnt wurde. Ich
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