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Phantom der Lüste

Phantom der Lüste

Titel: Phantom der Lüste
Autoren: Hanna Nowak
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beobachtete Enjolras, wie einer der Wachmänner ein junges Mädchen die steinerne Treppe hinunterstieß, sodass dieses fast das Gleichgewicht verlor.
    Sie war seltsam gekleidet, besser gesagt, sie hatte kaum etwas an. Ihre Haare waren kurz. Man hätte sie glatt mit einem Jungen verwechseln können. Der Wächter legte sie in Ketten, dann ging er, ohne ein Wort zu sagen und Enjolras hörte nur das schwere Atmen des Mädchens.
    „Wie nett, jetzt bekomme ich Gesellschaft.“
    Die Kleine antwortete nicht, sie hob nur kurz den müden Blick, dann sank ihr Kopf nach unten, als hänge ein schweres Gewicht um ihren Hals. Doch der kurze Augenblick hatte genügt, um ihn die blauen Verfärbungen auf ihrer Wange im Licht der Fackeln erkennen zu lassen. Die Kleine war geschlagen worden.
    „Wer bist du?“, fragte er.
    Sie antwortete noch immer nicht. Enjolras gab auf. Doch nachdem einige Zeit verstrichen war, hörte er ihre schwache Stimme.
    „Katrine. Mein Name ist Katrine Gilmas.“
    „Warum haben sie dich eingesperrt, Katrine?“
    „Weil ich mich in die falsche Person verliebt habe.“
    Enjolras nickte. Desselben Verbrechens hatte er sich ebenfalls schuldig gemacht.

    Jean hatte Dank des Mittels von Doktor Robienne die ganze Nacht und den Großteil des Morgens durchgeschlafen. Jetzt war er jedoch wieder hellwach und sorgte sich um Enjolras. Es gab keine Möglichkeit das Zimmer zu verlassen, zumindest nicht ohne die Hilfe eines Verbündeten. Doch wer stand jetzt noch auf seiner Seite?
    Er wälzte sich herum, von einer Seite zur anderen, da fiel sein Blick auf das Gemälde über ihm, das ihm so oft Trost gespendet hatte. Nun löste der Anblick der friedlichen Landschaft Wut in ihm aus. Er sprang auf, riss das Bild ab und drehte es herum, um Sebastiens Fratze zu sehen.
    „Du elender Verräter! Ich dachte, du wärst mein Freund! Wie konntest du mich so hintergehen?“
    Jean empfand lediglich Verachtung für den einstigen Freund. Er warf das Gemälde zu Boden und sprang mit den Füßen darauf. Zerstörte das Antlitz des Soldaten und empfand Befriedigung.
    In dem Moment huschte jemand in sein Zimmer. Jean fuhr erschrocken herum. Im ersten Augenblick meinte er den jungen Diener des Vicomte zu erkennen, denn die Person trug ähnliche Kleidung, aber das strahlende Lächeln gehörte zweifelsohne Francoise. Ehe er etwas sagen, womöglich sogar laut werden konnte, legte sie rasch den Zeigefinger auf ihre Lippen und eilte zu ihm.
    „Ich bin es, Jean“, flüsterte sie.
    „Das sehe ich. Aber … was trägst du für merkwürdige Gewänder?“
    „Anders hätten sie mich nicht zu dir gelassen. Die Wachen deines Vaters achten sehr darauf, wer dein Zimmer betritt. Und nachdem unsere Verlobung aufgelöst wurde, ziemt es sich nicht, wenn ich dich als Francoise besuche. Aber als einer der Diener meines Vaters darf ich dich sehen.“
    „Ich verstehe.“
    „Hör zu, Jean, ich habe einen Plan, wie wir deinen Freund und Katrine aus dem Kerker befreien können.“
    Nun hatte sie seine volle Aufmerksamkeit. „Wer ist Katrine?“
    „Sie ist … meine Vertraute … und Gefährtin.“
    „Aber ich habe sie nie in deiner Nähe gesehen.“
    „Sie war dort, aber verkleidet. So wie ich jetzt.“ Francoise deutete auf ihre Beinkleider.
    „Der Diener deines Vaters“, fiel es Jean ein. „Gilbert ist … in Wahrheit eine Frau?“
    „Ja. Katrine. Sie war einst meine Zofe. Wir verliebten uns. Aber Papa hat es nicht geduldet.“
    Zum ersten Mal hatte Jean das Gefühl, dass da jemand war, der seine Gefühle für Enjolras verstehen würde. Der dieselben Komplikationen und Verwirrungen durchlebt hatte wie er. Nie im Leben hätte er gedacht, dass ausgerechnet Francoise diese Person sein würde.
    „Ich kann nicht zulassen, dass sie wegen mir bestraft wird. Ich war mir meiner Gefühle nicht sicher – wegen dir. Aber jetzt habe ich Klarheit. Ich möchte niemanden heiraten, ich möchte mit ihr zusammen sein. Katrine gehört mein Herz. Niemandem sonst.“
    „Für mich gibt es auch einen besonderen Menschen, mit dem ich bis ans Ende meines Lebens zusammen sein möchte.“
    „Ich weiß, Jean. Als du den Gefangenen vor meinem Bruder verteidigt hast, wurde es mir klar. Er hat dich gerettet und jetzt willst du ihn retten. Aber das geht nur, wenn wir zusammenarbeiten.“
    „Ich bin zu allem bereit. Wie lautet dein Plan?“
    Francoise erklärte es ihm und Jean hatte Zweifel, ob dieses tollkühne Vorhaben funktionieren würde. Er wusste aber auch, dass sie keine
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