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Phantom der Lüste

Phantom der Lüste

Titel: Phantom der Lüste
Autoren: Hanna Nowak
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ihre Hochachtung zu zollen. Wie sehr sie Männer bewunderte, die mit dem Talent für Musik gesegnet waren.
    Es wurde ein wunderbarer Tag. Man redete viel, machte Scherze und später servierte der Koch ein opulentes exotisches Mahl aus Indien, wie sie es nie zuvor gegessen hatte.Gegen Abend trafen die ersten Gäste ein. Familie und Bekannte, gute Freunde, Geschäftspartner. Ein jeder, der Rang und Namen hatte, fand sich im ehrwürdigen Gemäuer l’Aurores ein. Es wurde allmählich ernst und sie bewunderte Jean, dass er im Gegensatz zu ihr ruhig blieb. Dabei war dies doch der wichtigste Abend ihres Lebens.
    Als es ihr auch noch schwindelte, weil der Tanzsaal immer voller wurde, flüchtete sie auf den Balkon, um frische Luft zu schnappen.
    „Ist alles in Ordnung mit Euch?“, vernahm sie eine besorgte Stimme hinter sich.
    Francoise drehte sich um und blickte in die strahlend blauen Augen Jeans, in deren Tiefe sie abtauchen konnte wie in einen klaren See.
    „Ja, es ist alles gut“, sagte sie und fuhr sich über die glühenden Wangen. Dann blickte sie hinaus über die weite Landschaft und den Wald, der sich bis zum Horizont erstreckte. Bald würde sie hier leben. Und l’Aurore würde ihr Zuhause sein. Gewiss würde sie die Küste vermissen, aber sie fühlte sich auch hier heimisch. All die Erinnerungen. Die gemeinsamen Kindertage. Noch dazu war ihr geliebter Ozean keine halbe Tagesreise von Gavaine entfernt. Sie würde ihn gegen ein Meer aus grünen Kronen eintauschen.
    „Weißt du es noch?“, fragte sie leise.
    Jean trat hinter sie und legte seine Hände auf ihre Schultern. „Ich erinnere mich an vieles.“
    „Die Nacht im Wald. Sie war so kalt.“ Ein Schauer lief über ihren Rücken und sie zitterte leicht. „Das… Phantom“, flüsterte sie. Aber Jean schien sie nicht ernst zu nehmen. Er lachte.
    „Oh ja. Wie könnte ich diese Geschichte vergessen.“
    Es war nicht irgendeine Geschichte. Es war ihr größtes Kindheitsabenteuer, das sie nie hatte vergessen können, weil es so aufregend und spannend war, und weil es sie beide zusammengeschweißt hatte. In diesem Moment kamen all die alten Bilder wieder in ihr hoch und sie hörte das Kinderlachen aus längst vergangenen Tagen.
    „Die haben wir abgehängt.“
    Die verzweifelten Rufe der Zofe, die auf sie Acht geben sollte, verhallten in der Ferne. Sie zwängten sich durch das Unterholz, wichen peitschenden Zweigen aus und rannten immer tiefer in den Wald, in der Hoffnung, Feengold zu finden, wie es ihr Maman in ihren fantasievollen Geschichten oft erzählt hatte. Feengold, so sagte sie, sei viel strahlender und wertvoller als jedes andere Gold. Man fand es oft im Moor, versteckt unter moosbehangenen Steinen. Der Boden unter ihren Füßen gab nach, machte bei jedem Schritt schmatzende Geräusche und schließlich geriet der kleine, schilfbehangene See in ihr Blickfeld.
    „Hier sind wir richtig“, sagte sie überzeugt und drehte kleine und große Steine um, bis die Abenddämmerung einbrach und sich das vertraute Gesicht des Waldes in eine dunkle Fratze verwandelte.
    „Wir sollten umkehren“, sagte Jean, der vor Kälte zitterte. „Nachts ist der Wald gefährlich.“
    Francoise nickte. Es gab noch eine andere Geschichte, die ihr Maman erzählt hatte. Eine unheimliche, die von einem düsteren Wesen handelte, das in den Wäldern von Gavaine hauste und nachts auf die Jagd ging.
    „Aber wo ist der Weg?“
    Francoise konnte in der Finsternis kaum ihre eigene Hand erkennen. Da vernahmen sie das Knacken eines Zweiges und das Rascheln von Blätterwerk ganz in der Nähe. Ein Feuerschweif leuchtete in der Dunkelheit auf und dann erkannten sie eine hochgewachsene Gestalt in einer schwarzen Kutte, die langsam auf sie zukam. In der Hand hielt sie eine Fackel.
    „Wer ist das?“, flüsterte Francoise aufgeregt und versteckte sich hinter Jean. Sie gingen rasch ein paar Schritte zurück. Jeder kannte die Geschichte des Phantoms, das arglose Wanderer überfiel, ihnen das Blut aussaugte, sie verstümmelte und verscharrte. Reisende brachen daher nicht mehr nach Sonnenuntergang auf. Die Gastwirte im nahegelegenen St. Marie-Etienne machten gute Geschäfte.
    „Was tut ihr hier?“, brüllte eine dunkle Stimme und das Licht der Fackel fiel in das Gesicht der unheimlichen Gestalt.
    Francoise erkannte das Antlitz des Teufels! Panisch schrie sie auf, rannte los, so schnell sie nur konnte, und zog Jean hinter sich her durch das Dickicht. Sie stolperten, sprangen wieder auf und
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