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Pferdekuss

Pferdekuss

Titel: Pferdekuss
Autoren: Christine Lehmann
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verkehrten.
    »Das, Schwiegervater, musst du mit dir ausmachen. Aber für Siglinde wäre es sicherlich von Vorteil, wenn du das Gutachten über ihre verminderte Schuldfähigkeit unterstützt.«
    »Nur damit meine Tochter in die Klapsmühle kommt.«
    »Da kommt sie auch wieder raus.«
    »Soll ich sie dann etwa wieder aufnehmen, als wäre nichts gewesen?«
    »Friedrich«, sagte ich, »wenn es so weit ist, liegst du längst unter der Erde zwischen deiner Frau und deinem Sohn.«
    Die Linie seines Mundes schwankte. Fast sah es aus wie ein ironisches Lächeln. »Und was willst du jetzt noch von mir?«
    »Sagen wir es so«, sagte ich. »Jetzt, da Hajo unschuldig ist, würde man mir auch glauben, was vorhin auf der Enterkoppel geschehen ist. Dein Irrtum mag zwar verzeihlich und Selbstjustiz verständlich sein, aber rechtens ist auch der Versuch nicht.«
    »Willst du mich erpressen?«
    »Genau.«
    »Du wolltest immer das Gestüt. Siglinde hatte recht.«
    »Hör zu, Friedrich, was du mit deinem Erbe machst, ist mir egal. Meinetwegen lass es in der Familie. Vielleicht kann Siglinde das Erbe sogar eines Tages antreten. Aber jetzt brauchst du einen Verwalter und einen guten Zuchtwart.«
    »Du kannst doch nicht einmal richtig reiten.«
    »Ich nicht, aber Hajo Lem.«
    »Der kann nicht schreiben.«
    »Das bringt ihm meine Mutter bei. Für die Zuchtpapiere wird es reichen. Das Gestüt verwandelst du in eine Gesellschaft im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder einen Reitverein mit Vorstand und Kassenwart und allem Drum und Dran.«

34
     
    Meine Mutter bespritzte meine Reisetasche mit Weihwasser.
    »Aber, Mama, ich habe doch keine Weltreise vor.«
    »Es kann überall was passieren«, sagte sie und besprengte kurzerhand auch noch mich. »Ich will doch, dass du gesund wiederkommst.« Sie strich mir sogar übers Haar, als ich in den Mietwagen stieg, und winkte mir hinterher. Ich sah sie im Rückspiegel klein werden, während die Kirchenglocken von St. Georg zum Gottesdienst riefen. Kaum war ich um die Ecke, würde sie ins Haus gehen, die Handtasche holen. Nach der Kirche würde das, was in den nächsten Wochen Tagesgespräch in Vingen war, bei ihr seinen Ausgang nehmen, weil sie eine Tochter hatte, die alles aufgeklärt und Gallions Tochter überführt hatte, weil sie in der Stadt Journalistin war.
    Ich fuhr am alten Backhaus vorbei auf die Hauptstra ße. Dabei gelang mir ein kurzer Einblick in die Berggasse mit dem ockergelben Haus von Petra. Sie hatte mich in der Nacht noch angerufen. Ich saß auf dem Bett in meinem Zimmer, im Begriff mich auszuziehen. Ihre Stimme klang nach Kleiderbergen und Tapferkeit. Aber wir fan den beim besten Willen keinen Ort in und um Vingen, wo wir uns noch einmal alleine zwischen Wäschebergen treffen konnten. In unseren Wohnungen hockten die Mütter. Darum schlug ich ihr vor, mich in der Stadt zu besuchen. »Wir haben auch das Sarah , ein Cafe nur für Frauen.« Als ob es solcher Verlockungen bedurft hätte. Petra plan te sogleich das Täuschungsmanöver. Ihrer Mutter würde sie sagen, sie besuche Vanessa bei ihrem Vater in Stuttgart.
    Ich fuhr nach Osten aus Vingen raus. So musste ich nicht noch einmal am Gestüt vorbei. Das Hotel König , Gallion Obstsäfte und das Polizeirevier entließen mich auf die Landstraße, die sich vor dem grünen Riegel des Albtraufs durch die Obstbaumwiesen gen Metzingen schlängelte. Ich sah mich nach dem Birnbaum um, aber ich erinnerte mich immer noch nicht an den Unfall mit Todt. Dafür erinnerte ich mich an die vergangene Nacht.
    Nach dem Telefongespräch mit Petra machte ich das Fenster auf und sah unten im Garten einen Mann stehen. Als ich mich aus dem Fenster lehnte, trat Hajo aus dem Mondschatten des Kirschbaums meiner Mutter, die nebenan im Bad plätscherte. Ich winkte ihn vom Fenster aus ums Haus herum und huschte, solange das fließende Wasser meiner Mutter die Ohren verstopfte, die Treppe hinunter, um ihn einzulassen – leise, leise, den Finger auf den Lippen – und erst einmal in die dunkle Küche zu sperren. »Mach kein Licht. Die Nachbarn könnten sich was denken.«
    Oben im Gang trat ich meiner Mutter entgegen, um sie in ihr Schlafzimmer zu begleiten. Sie zog sich die Nadeln aus dem Dutt. Das weiße Haar fiel. Es umstrahlte ihren Kopf auf dem Kissen. Ich setzte mich auf die Bettkante und hörte ihr zu, wie sie von künftigen Krankenbesuchen bei Friedrich Gallion schwärmte und sich mit Brühen und Kräutertees, die sie ihm bringen würde, in den Schlaf
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