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Pferdekuss

Pferdekuss

Titel: Pferdekuss
Autoren: Christine Lehmann
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Mit den Eisen über den Asphalt schlitternd schwenkte Falko herum und bretterte auf die Arsbrücke zu.
    »Vanessa!«, schrie Vater Bongart und rannte los.
    Falko scheute an der Brücke, bockte und schlug himmelhoch aus.
    Siglinde stürzte über seinen Hals in die Ars.

33
     
    Ich klaute aus einem Sack, der in einer Sattelkammer herumstand, einen Scheffel Hafer und leerte ihn Falko in den Trog. Er verspritzte die Körner mit schnellen Kopfbewegungen nach allen Seiten und klaubte sie dann einzeln vom Trogrand, den waagrechten Holzbalken und der oberen Türkante. Manche Pferde wollten sich die Illusion erhalten, die rupften nur wenige der energiereichen Körner mit der Ähre vom Halm.
    Ich hatte, nachdem man Siglinde bewusstlos aus der Ars gefischt und mit dem Notarzt weggebracht hatte, Falkos Herrin angeboten, ihr Pferd zu versorgen, und etwa eine Stunde damit verbracht, den Wallach wieder aufzumöbeln. Ich hatte ihn geduscht, ihm den Schweiß aus dem Fell gewaschen, ihn mit Stroh trockengerieben, ihn auf den Sandplatz geführt, damit er sich wälzen konnte, ihn gebürstet.
    Währenddessen hatten Petra, Ronni, Vanessa und Dieter Bongart ihre Tränen, Beschuldigungen und Versöhnung unbedingt bei mir austragen müssen. Petra wollte die Einzelheiten ihrer Jagd in Tübingen nach Ronni und Vanessa loswerden. Sie waren in eine Demo geraten, auf der Neckarwiese über Liebespaare gestiegen und hatten sich schließlich auf der Treppe der Stiftskirche getroffen. Vanessa war ernst und hager und trug ein schwarzes Kleid, an dessen Dekollete Ronni stark interessiert war. Der Bursche mit dem gescheckten Haar und den zwei T-Shirts übereinander kapierte nicht, d ass seine Hübsche den Tod ihrer Mutter verarbeiten musste und überdies ihrem Vater Rechenschaft schuldete.
    Sie hatte sich Donnerstagabend kurz nach acht von Heide verabschiedet, als sie Zoro in den Stall führte. Sie müsse noch was mit Gallion besprechen, hatte die Mutter gesagt, Vanessa solle nicht auf sie warten. Sie fahre dann gleich nach Frankfurt. Vanessa verbrachte die Nacht in Reutlingen bei Ronni, das Handy neben sich am Bett, falls die Mama anriefe. Nach der Schule am Freitag fuh ren sie dann nach Tübingen. Es hatte ein Traumwochenende werden sollen mit Liebe satt, mit Tintenfischumarmun gen, Disko und Nacktbaden am Baggersee von Kirchentellins furt, so recht nach dem Sinn eines zweiundzwanzigjährigen Mannes: heiße Lippen, feuchte Muschi. Doch unterdessen verlor Vanessa die Mutter. Der kleine Betrug, mit dem sie sich das Wochenende ergaunert hatte, wuchs sich unter den Augen des Vaters zu tränenreichem Schuldbewusstsein aus. Und schon hatte Ronni mit seinen Stielaugen für Vanessas Dekollete verloren. Vanessa merkte es nur noch nicht. Noch glaubte sie, der Junge sei ihr Ein und Alles, aber schon hing sie am Arm des Va ters. Und als sie endlich alle gingen, legte er den Arm um sei ne Tochter.
    Ich hatte Petra nur ein schnelles »Gut gemacht!« ins Ohr küssen können, mehr nicht.
    Der Hof hatte sich gelehrt. Wer noch da war, saß im Reiterstüble. Die Stallknechte begannen mit dem Ausmisten. Hajo war in Pflichterfüllung unterwegs. Er hatte sich, als man ihm die Handschellen abnahm – zu spät, als dass er Siglinde selbst aus der Ars hätte ziehen können –, die Gelenke gerieben, sich per Handschlag bei mir be dankt und war davongeeilt.
    Ich zündete mir eine Zigarette an. Falko schnaubte in seinen Hafer. Sein Bauch gluckste, die Sprunggelenke knacksten. Ich konnte versuchen, ihn zu kaufen. Aber ich war nicht mehr die Sekretärin mit Dauerwellen, die ihr Glück auf Pferden suchte und glaubte, die dominante Harmonie mit der kraftvollen Kreatur sei genau das, was eine Frau vom Leben mit einem Mann erwarten dürfe. Doch ich trennte mich nicht von Falko, ohne ihm ins Ohr zu flüstern, dass Stuttgart nicht weit weg und ich jederzeit mit dem Auto in einer halben Stunde in Vingen sei, um ihn zu einem Ausritt einzuladen. Er nickte.
    Mimi Kobel stopfte in der Küche Salatabfälle in einen Eimer. »Da kannst du jetzt nicht rauf«, sagte sie, nahm den Eimer und ging zu den Kaninchen hinaus.
    Ich stieg die Treppe hinauf. Friedrich saß in seiner finsteren Ecke, während draußen der Abend das Gestüt vergoldete.
    Ich setzte mich ans fernere Ende der Couch.
    Er schwieg den Herbst und Winter herbei, ließ es fros tig werden, zog das Totenhemd an und setzte schwarzen Marmor auf sein Grab. Ich schwieg etwa eine halbe Stunde. Dann räusperte er sich.
    »Das Krankenhaus
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