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Pferdekuss

Pferdekuss

Titel: Pferdekuss
Autoren: Christine Lehmann
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die Brem sen am Porsche manipuliert.«
    »Gar nicht wahr! Ich wollte nur …« Siglinde biss sich auf die Lippen.
    Keiner tat einen Mucks.
    Feil kniff die Augen zusammen. Unter ihrer Föhnfrisur war kein Platz für Nachsicht gegenüber der Familie des Königs von Vingen. Für Politik und Diplomatie fehl te ihr der Sinn. Sie hätte niemals weggeschaut wie die Dorfpolizisten, wenn Gallion junior mit achtzig durchs Dorf raste oder der Alte mit einem Promille erwischt wurde. Ihr war nicht bange vor dem Spender von Schmuckpflaster, Kriegsdenkmal und Festhalle. Vor ih rem Dünkel waren alle gleich.
    »Ja«, fragte ich leise. »Was wolltest du, Siglinde? Was dachtest du denn, was passiert, wenn du an einer Bremse herumschraubst?«
    »Halt die Klappe, Siglinde«, blaffte der General. »Was verstehst du schon von Autos?«
    Siglinde stand da wie ein Pferd, das nicht weiß, aus welchem Unterholz die Wolfsmeute brechen wird.
    »O Gott«, tönte es unvermittelt aus einer anderen Ecke. Es war Dr. Hilgert. »O Gott, Siglinde, was hast du getan? Jetzt kenne ich dich, seit du ein kleines Kind warst.« Der Kinderarzt und Autoliebhaber ordnete das Haupthaar und die Erinnerung.
    »Sie können mich mal!«, sagte Siglinde. Ihr war mehr als nur die Idee unbehaglich, dass der Arzt nun allen erzählte, wie sie einst dreikäsehoch durchs Dorf geradelt war und nasebohrend gegafft hatte, wenn die Sau geschlachtet wurde oder der Doktor sein Auto reparierte.
    »Du hast dich von allen Kindern am meisten für meinen Opel Kapitän interessiert«, erinnerte sich Hilgert. »Stundenlang hast du mir zugeschaut. Zündkerzen, Bat terie, Ölwanne, alles habe ich dir erklärt, alles wolltest du wissen. Sogar in die Werkstatt habe dich einmal mitgenommen. Da haben wir die Bremsflüssigkeit ausgewechselt und du warst der sechste Mann. Ich weiß es noch, wie stolz du warst, als du an einer der vier Entlüftungsschrauben beim Reifen sitzen durftest, während der Meister nachfüllte und ich im Wagen saß und pumpte. Du wolltest sogar Kfz-Mechaniker werden. Konnte ich damals ahnen, dass du dein Wissen so gewissenlos anwenden würdest?«
    Der General wurde knochig. »Du hast …« Er musste die Kehle freihusten. »Du hast wirklich meinen Sohn …«
    »Er hat doch angefangen«, keifte Siglinde. »Er hat mich zuerst umbringen wollen. Das hast du immer gesagt.«
    »Aber doch nicht so!« Friedrich Gallions Stimme hat te keinen Ton mehr. »Todt hat es doch nicht absichtlich getan. Es war … es war ein Unfall. Was anderes habe ich nie gesagt.«
    Mir wurde flau. »Zu spät, Schwiegervater. Die Klarstellung kommt zu spät. Immer hast du deine Kinder ge geneinander aufgehetzt. Das Gestüt sollte der bekom men, der dir zuerst Enkel bringt. Das hast du gesagt, mehr als einmal. Was sollte Siglinde denn tun? Ich wurde in deinem Haus immer fetter, und sie hatte immer noch keinen Mann. Den Gedanken an Menschlichkeit, Verzicht, Großzügigkeit gab es in deinem Haus nicht. Was lag für Siglinde da näher, als zwei Konkurrenten in den Tod zu schicken, die du überdies täglich als güste Stute und Schwestermörder gebrandmarkt hast? Was hat sie schon gemacht? Sie hat doch nur ein paar Schräubchen geöff net. Es lief wie ein Gottesurteil. Kein Grund, sich ein Gewissen daraus zu machen. Es war nur ein Streich, Siglinde, nicht wahr? Dass wir wirklich sterben könnten, war dir nicht so klar. Du wolltest uns nur weghaben.«
    Siglinde biss sich die Unterlippe blutig.
    Friedrich Gallion schwankte auf dünnen Beinen in seinen Reitstiefeln. Es traf ihn nicht weniger vernichtend, nur weil er es seit heute Vormittag ahnte. Er hatte es wegdiskutiert, er hatte die Wahrheit vertreiben wollen, als er versuchte, Hajo zu Tode zu hetzen. In seiner Not hatte er sogar Kommissarin Feil zu Hilfe gerufen, damit sie Hajo amtlich zum Mörder erklärte. Friedrich wollte seine Zweifel mit ins Grab nehmen, statt sich den Rest seines Lebens zu fragen: Warum? Warum meine Kinder?
    Ich hatte es so satt. ›Man muss auch verzeihen kön nen‹, hatte meine Mutter leichtsinnig gepredigt, als sie mich zu seinem Jubiläum einlud. Um zu verzeihen, hätte ich erst einmal hassen müssen, aber ich hatte so viel um Todt getrauert, dass ich jetzt keine Kraft mehr hatte, um zu hassen. Sein Tod war Teil der Gallion’schen Tragödie, in die ich blind hineingeraten und zwar mit Blessuren, aber lebendig wieder herausgekommen war. Für mich gab es nun nichts mehr zu klären.
    »Dein Fehler war nur«, sagte ich an Siglinde
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