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Peter Hoeg

Peter Hoeg

Titel: Peter Hoeg
Autoren: Fräulein Smillas Gespür für Schnee
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für etwas Lebendiges: die Geldgier.
    »Ihr könnt den Wurm nicht einfach nehmen und ihn in einen dicht bevölkerten Teil der Welt bringen«, sage ich. »Nicht, bevor ihr wißt, was es ist. Ihr könntet eine Katastrophe auslösen. Wenn er global verbreitet gewesen ist, hat er sich in seiner Ausbreitung erst wieder begrenzt, als er seine Wirte ausgerottet hatte.«
    Er legt die Lampe neben sich auf den Schnee. Ununterbrochen gebärt und erhält sie über den Wasserspiegel und den Stein hinweg einen konischen Lichttunnel. Der Rest der Welt ist ausgelöscht.
    »Der Tod ist immer Verschwendung. Zuweilen ist es aber das einzige, was die Menschen wachrüttelt. Bohr beteiligte sich am Bau der Atombombe und meinte, sie würde dem Frieden nützen.«
    Ich erinnere mich an etwas, was Juliane einmal gesagt hat, irgendwann, als sie nüchtern war. Daß man den dritten Weltkrieg nicht fürchten sollte. Die Menschheit brauche einen neuen Krieg, um zur Vernunft zu kommen.
    Mein Gefühl ist das gleiche wie damals. Das Bewußtsein des Wahnsinns in diesem Argument.
    »Man kann Menschen, wenn man sie nur genügend erniedrigt, nicht in die Liebe hineinzwingen«, sage ich.
    Ich verlagere mein Gewicht auf den anderen Fuß und bekomme eine Taurolle zu fassen.
    »Dir fehlt die Phantasie, Smilla. Das ist unverzeihlich bei einem Naturwissenschaftler.«
    Wenn ich die Rolle schleudern könnte, könnte ich ihn damit vielleicht ins Wasser schlagen. Danach könnte ich weglaufen.
    »Der Junge«, sage ich, »Jesaja, weshalb hat Loyen ihn untersucht?«
    Ich trete ein paar Schritte zurück, um dem Schwung einen größeren Bogen zu verleihen.
    »Er ist ins Wasser gesprungen. Wir hatten ihn mit in die Höhle nehmen müssen, er litt an Höhenangst. Sein Vater brach bereits an der Wasseroberfläche zusammen. Er wollte zu ihm. Er hatte nie Angst vor kaltem Wasser, er schwamm im Meer. Loyen war es, der die Idee hatte, ihn unter Aufsicht zu halten. Bei ihm saß der Wurm subkutan, nicht in den Gedärmen. Er spürte ihn nicht.«
    Das erklärt die Muskelbiopsie. Loyens Wunsch nach einer letzten und entscheidenden Probe, nach einer Auskunft über das Schicksal des Parasiten, wenn sein Wirt tot ist.
    Das Wasser hat einen grünlichen Ton, eine friedvolle Farbe. Grauenerregend ist nur die Vorstellung vom Tod, das Phänomen selbst kommt immer so natürlich wie ein Sonnenuntergang. In Force Bay habe ich einmal gesehen, wie Major Guldbrandsen von der Siriuspatrouille mit einem Repetiergewehr drei Amerikaner zwang, von einer mit Trichinen infizierten Bärenleber zu lassen. Das war am hellichten Tag. Die Männer wußten, daß das Fleisch giftig war und daß sie nur die Dreiviertelstunde zu warten brauchten, bis es gekocht sein würde. Trotzdem hatten sie, als wir sie erreichten, schmale Streifen von der Leber abgeschnitten und angefangen zu essen. Alles war ganz alltäglich. Die blaue Nuance des Fleisches, ihr Appetit, das Gewehr des Majors, ihr Erstaunen.
    Er greift hinter mich und nimmt mir die Rolle ab wie einem Kind, dem man ein scharfes Werkzeug wegnimmt.
    »Geh hoch und warte.«
    Er leuchtet die Wand gegenüber an. Von dort geht ein weiterer Tunnel raus. Ich gehe darauf zu. Jetzt erkenne ich den Weg wieder. Er führt nicht hinauf und hinaus, er führt in das Erlöschen. Der Eingang zum Ende ist immer ein Tunnel. Wie der Eingang zum Leben. Er hat mich hierhergeführt. Den ganzen Weg vom Schiff bis hierher hat er mich geführt.
    Erst jetzt sehe ich seine Brillanz als Planer. Er konnte es nicht an Bord tun. Er muß schließlich zurück, die Kronos muß immer noch irgendwann einmal einen Hafen anlaufen. Er würde es nicht verbergen können. Aber das hier wäre eine zweite Desertion. Ein Verschwinden wie das von Jakkelsen. Niemand hat gesehen, daß ich Tørk getroffen habe, niemand wird mich verschwinden sehen.
    Auch der Mechaniker wird nicht zurückkommen. Er wird alles verstehen. Er wird mich so sicher, als hätte er uns hier gesehen, mit Tørk in Verbindung bringen. Tørk wird ihn tauchen lassen, wahrscheinlich brauchen sie ihn, jedenfalls um die erste Ladung anzubringen. Sie werden ihn tauchen lassen, und danach wird er aufhören zu existieren. Tørk wird zurückkommen, und es wird ein Unglück gegeben haben, vielleicht einen Unfall mit dein Lungenautomaten. Tørk wird sich auch das ausgedacht haben.
    Jetzt begreife ich die Ausrüstung am See. Der Mechaniker hat sie ausgepackt, während Tørk geredet hat. Deshalb hat Tørk mich in das Labor mitgenommen.
    Das Licht
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