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Personenschaden

Personenschaden

Titel: Personenschaden
Autoren: P Probst
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steilen Bahndamm hinaufhetzt. Burger, der sich noch mal zu ihm umblickt. Burger, der auf den Güterzug zurennt, mit einem Fuß an einer Schwelle hängen bleibt und beinahe das Gleichgewicht verliert – aber eben nur beinahe   …
    »Ich habe bis zuletzt gedacht, er bremst noch ab. Ich war mir ganz sicher.«
    Engler seufzte tief. »Jetzt habe ich es wenigstens hinter mir. Laut Statistik ist jeder Lokführer einmal im Leben dran. Ich hole uns ein Bier. Trinken Sie Dunkles?«
    »Nur.«
    »Da verbindet uns ja schon wieder was.« Er verließ lächelnd den Raum.
    Schwarz stand auf und trat ans Fenster. In einem der Schrebergärten bückte die junge Frau vom Aufzug sich über die Salatköpfe. Sie war wirklich hübsch und er schaute interessiertzu, bis er begriff, dass sie mit einer Küchenschere Nacktschnecken zerschnitt.
    Engler kam zurück und schenkte Schwarz ein. Er selbst trank aus der Flasche.
    »›Hoch die internationale Solidarität‹?« Schwarz zeigte auf die verwaschene Gravur des Bierglases.
    »Ein Geschenk. Mein Vater ist überall als der rote Rudi bekannt, obwohl er nie zu den Kommunisten gehört hat. Denen wäre er auch viel zu eigensinnig gewesen.«
    »Wie lange war er im Fahrdienst?«
    »Nicht lange. Für ihn war schon in den Siebzigern Schluss. Wenn ich ihn ärgern will, sage ich: noch zur Dampflokzeit.«
    »Er ist in Frühpension gegangen?«
    Engler schüttelte den Kopf. »Sie haben ihn in den Schalterdienst versetzt, weil er unbedingt auf einer Gewerkschaftsversammlung verkünden musste, er würde sich eher erschießen lassen, als einen Militärtransport Richtung Osten zu fahren. Als hätte irgendjemand das von ihm verlangt.« Er nahm einen tiefen Schluck. »Trotzdem fühlt er sich immer noch als Lokführer und gibt mir gute Ratschläge für meine erste Fahrt nach dem Unfall.«
    »Sie werden sicher auf einer anderen Strecke eingesetzt?«
    »Nein. Warum auch? Ich hole mein Holz am Verladebahnhof und bringe es auf meiner Stammstrecke zum Sägewerk bei Zell am See. Mit meiner alten 140er.«
    »Ist das die Baureihe?«
    »Genau, das ist die verbreitetste Altbau-Lok im Güterverkehr.«
    »Wird Sie jemand begleiten?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich bin mit dem Bahnarzt Probe gefahren. Er wollte sehen, wie ich reagiere, wenn ich an der Stelle vorbeikomme.«
    Schwarz blickte Klaus Engler fragend an.
    »Es gibt Kollegen, die in Tränen ausbrechen, weil in dem Moment alles wieder hochkommt   … Ich habe es ganz gut verdrängen können.«
    »Ab welchem Moment haben Sie eigentlich begriffen, dass Burger Sie dazu zwingen wird, ihn umzubringen?«
    Englers Blick wurde plötzlich starr.
    »Entschuldigen Sie, wenn Ihnen die Frage zu nahe geht   …«
    »Nein, nein, Sie müssen das wissen. Es ist ja auch Ihr Unfall.« Er kratzte nervös mit dem Fingernagel ein Stück Etikett von seiner Bierflasche.
    »Sie haben wahrscheinlich auf die Signale geachtet, Herr Engler?«
    »Die kenne ich an dieser Strecke auswendig   … Es war unser Hochzeitstag, verstehen Sie, ich wäre so gern bei meiner Frau gewesen. Ich muss geträumt haben.«
    »Aber Sie haben noch gebremst. Das habe ich gehört.«
    »Ja, schon. Aber es war mir nicht bewusst.«
    Er verbarg sein Gesicht in den Händen. »Erst dieses entsetzliche Geräusch hat mich in die Realität zurückgeholt. Wäre ich bloß nicht mit offenem Seitenfenster gefahren.«
    Er nahm einen hastigen Schluck.
    »Es ist auch scheißegal, was ich vor dem Aufprall getan habe, ich hätte den verdammten Zug sowieso nicht mehr stoppen können.« Bei den letzten Worten war er laut geworden. »Herr Schwarz, wissen Sie, dass bei einem Gewicht von ungefähr fünfhundert Tonnen und einer Geschwindigkeit von achtzig Kilometern der Bremsweg über einen Kilometer lang ist?«
    »Sie hatten nicht die geringste Chance.«
    »Keiner hat eine Chance«, sagte Klaus Engler, »weil niemand aus seinem Gleis kann. Verstehen Sie, was ich meine?«
    »Ich glaube schon«, sagte Schwarz zögernd.
     
    Sie schwiegen wieder. Dann endlich gab Schwarz sich einen Ruck und erzählte, dass er noch einmal dort war.
    Engler sah ihn an.
    »Und wissen Sie, was ich entdeckt habe?« Er brachte es kaum über die Lippen. »Jemand hat ›Tötet Engler‹ auf eine Mauer am Rande der Gleisanlage geschrieben.«
    »›Tötet Engler?‹«, wiederholte der Lokführer ungläubig.
    »Es hat wahrscheinlich nichts zu bedeuten. Irgendein Schwachkopf, der sich wichtig machen wollte.«
    »Ja, wahrscheinlich.«
    »Sagen Sie, Sie sind in letzter
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