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Personenschaden

Personenschaden

Titel: Personenschaden
Autoren: P Probst
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kurz zeigen?«
    »Nein.«
    Jo lächelte nachsichtig und zog sich zurück.
     
    »So was nennt man Loft, oder?«, sagte Schwarz’ Mutter und schritt auf ungewohnt hohen Schuhen durch die Wohnung, als nehme sie ein Stück Land in Besitz.
    »Das war ein Tanzsaal. In den fünfziger und sechziger Jahren hat hier die Pasinger Jugend Rock’n’Roll-Partys gefeiert.«
    Sie seufzte. »Bill Haley, Chuck Berry, Elvis Presley.«
    »Ich dachte, du stehst auf Klassik und Egerländer Volksmusik?«
    »Ach, Anton. Was weißt du schon von mir?«
    Ist das vielleicht meine Schuld, dachte Schwarz.
    Seine Mutter hatte sich drei Jahre lang geweigert, ihn in der Landsberger Straße zu besuchen. Sie fand es offenbar deprimierend genug, dass er und Monika sich getrennt hatten, und wollte das Elend nicht auch noch sehen.
    Jetzt aber inspizierte sie neugierig die Wohnung. Sie öffnete den Kühlschrank und schlug die Tür gleich wieder zu. Bis auf zwei traurige Flaschen ›König Ludwig Dunkel‹ und eine Tube österreichischen ›Sarepta‹-Senfs war da nichts. Sie betrachtete die Fotos an der Wand hinter dem Schreibtisch und blieb kopfschüttelnd vor dem großen Kleiderberg neben dem Bett stehen. »Wir holen meinen Schrank und mein Schlafsofa. Platz ist hier ja genug.«
    Schwarz’ Lachen klang bemüht. »Willst du – bei mir einziehen?«
    »Mir bleibt wohl nichts anderes übrig. Ich kann doch als Jüdin unmöglich unter lauter Egerländern leben.«
    »Mama, du hast sechzig Jahre lang unter lauter Egerländern gelebt. Du bist zu den Treffen der Gmoi gegangen, hast Tracht getragen und Heimatlieder gesungen.«
    »Bis du die geniale Idee gehabt hast, mein Testament vor meinem Ableben zu öffnen.«
    »Das war ein Missverständnis, das habe ich dir doch lang und breit erklärt.«
    »Ganz schön stickig, dein Loft«, sagte Hildegard Schwarz und ließ sich aufs Bett sinken. Plötzlich sah sie sehr erschöpft aus und Schwarz hatte den Eindruck, dass sie unregelmäßig und etwas zu schnell atmete. Dafür, dass sie vor kaum zwei Monaten einen Schlaganfall erlitten hatte, mutete sie sich schon wieder zu viel zu.
    »Mama, bitte, jetzt beruhige dich erst mal.«
    »Wieso ich?«
    »Willst du was trinken?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Du musst viel trinken, das ist wichtig.«
    »Trinken wird heutzutage überschätzt.«
    »Dann gib mir wenigstens deinen Pelz. Wieso trägst du den überhaupt mitten im Sommer?«
    »Soll ich ihn in Föhrenwald lassen, damit die Egerländer ihn mir klauen?«
    Schwarz verzichtete darauf, sie kleinlich zu verbessern: die aus dem D P-Lager Föhrenwald hervorgegangene Vertriebenen-Siedlung war immerhin bereits 1957 in Waldram umbenannt worden. Den Kommentar zu ihren paranoiden Vorstellungen konnte er sich allerdings nicht verkneifen. »Mit deinen Nachbarn bist du bis vor kurzem wunderbar ausgekommen. Dass sie dich beklaut hätten, ist mir auch nicht bekannt. Außerdem kennt kein Mensch in Waldram dein Geheimnis.«
    »Aber du kennst es jetzt und seither werde ich das Gefühl nicht los, dass mich alle für eine Schwindlerin halten.« Sie seufzte tief. »Willst du mich denn gar nicht hier haben?«
    »Das ist keine Wohnung für zwei. Es gibt ja nicht mal richtige Zimmer.«
    »Nur für ein paar Wochen, Anton.«
    »Ich bin beruflich oft die halbe Nacht unterwegs oder sitze ewig am Computer.«
    »Stört mich nicht. Hauptsache, ich fühle mich nicht mehr so   … ausgestoßen.« In ihrem Blick lag plötzlich etwas Flehendes.
    Sie hat zum zweiten Mal ihre Heimat verloren, dachte Schwarz. Er konnte sie unmöglich wegschicken.
     
    Luisa lag noch verschlafen im Bett, als ihr Vater auftauchte, um zu fragen, ob es in ihrer WG eventuell eine überzählige Matratze gebe.
    »Brauchst du die für deine Übungen?«
    Schwarz räusperte sich. »Ich habe einen Gast.«
    Sie grinste anzüglich. »Echt? Und warum schläft sie nicht bei dir im Bett?«
    »Es ist deine Großmutter.«
    »Oma zieht bei dir ein? Süß.«
    Schwarz fand die Aussicht, mit seiner Mutter zusammenzuleben, alles andere als süß. Was war denn, wenn er zum Beispiel eine Frau kennenlernte und mit nach Hause nehmen wollte? Die Wahrscheinlichkeit war zwar gering, aber immerhin galt er vielen als eine Art Single, obwohl er nach wie vor mit Monika verheiratet war und sporadisch Sex mit ihr hatte. Aber das war eine andere Geschichte, die ihm noch schlechtere Laune machte.

2.
    Als Schwarz mit einer leicht angegammelten Matratze nach Hause kam, hatte seine Mutter sich umgezogen. Sie trug
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