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Personenschaden

Personenschaden

Titel: Personenschaden
Autoren: P Probst
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Herr Schwarz. Wenn jetzt etwas passiert, bevor ich wieder fahren kann   … Dann wäre der ganze Kampf umsonst gewesen.«
    Schwarz nickte. »Beim Honorar finden wir sicher eine Lösung.«
    »Wirklich?«
    »Sie haben es ja gesagt: Uns verbindet da etwas.«

5.
    Als Administrator des Internet-Forums nannte er sich
Novalis
. Angefangen hatte es mit dem Hauptseminar ›Suizid in der Literatur‹ am Germanistischen Institut der Münchner Universität. Der Dozent, ein selbstverliebter Enddreißiger, hatte mit seinen postmodernen Spiegelfechtereien vor allem zwei höhere Töchter vom Starnberger See beeindrucken wollen. Nachdem er endlich auch mit der zweiten im Bett gewesen war, hatte er sich wegen einer Depression krankschreiben lassen – zwei Tage vor der Sitzung, in der es um ›Literarische Inszenierung und Wirkung des Doppelselbstmords Heinrich von Kleists und Henriette Vogels‹ gehen sollte. Für alle ernsthaft am Thema interessierten Teilnehmer war das eine herbe Enttäuschung.
    Da hatte Novalis die Idee mit dem Internetforum gehabt –
www.muenchner-freitod.de
– ein besserer Name war ihm auf die Schnelle nicht eingefallen.
    Bis zu jenem Tag war er ein eher unauffälliger Student gewesen, der weder durch brillante Leistungen noch extravagantes Auftreten auf sich aufmerksam machte. Man sah und hörte ihm an, dass er aus einer bayerischen Kleinstadt kam. Er war nicht peinlich provinziell, aber auch nie ganz in der Großstadt angekommen. Nach drei Semestern in München hatte er noch immer keine richtigen Freunde gefunden.
    Aber das war Vergangenheit, denn nun stand Novalis im Mittelpunkt – zumindest in seinem Forum. Er überwachte und moderierte fast rund um die Uhr auf drei Bildschirmen gleichzeitig mehrere Threads und den Chat. Er strukturierte die verschiedenen Diskussionen, brachte neue Aspekte ein oder löschte Beiträge, die gegen die von ihm aufgestellten Regeln verstießen. Inzwischen ging es nur noch am Rande um den Suizid in der Literatur, dafür interessierten sich höchstens ein paar Seniorenstudenten. Stattdessen hatte Novalis Threads zur Melancholie, zum Thema Selbstverletzung oder den unterschiedlichen Formen und Methoden des Suizids eröffnet.
    Außerdem diskutierten die angemeldeten Mitglieder reale Suizidfälle, die durch die Medien gingen, und manchmal sogar Fälle aus dem persönlichen Umfeld.
    Der seit vielen Wochen bestbesuchte Thread widmete sich dem Suizid des jungen Rechtsextremisten Tim Burger, der auf der Flucht vor der Polizei in eine Lok gerannt war. Er faszinierte und polarisierte die User wie kein anderer Fall.
     
    Novalis saß bleich und mit rot geränderten Augen in einem Raum, der nur vom Leuchten der Monitore erhellt war. Wenn er nicht tippte, klopfte er nervös mit dem breiten Edelstahlring an seinem Mittelfinger gegen den Rand der Tastatur. Er befand sich in einem Zustand permanenter Erregung, denn www.muenchner-freitod.de war längst kein harmloser akademischerGesprächskreis mehr. Hier wurde offen und schonungslos über gescheiterte Selbstmordversuche gesprochen, über Verzweiflung, Krankheit, Todessehnsucht oder die Angst vor dem entscheidenden letzten Schritt. User suchten Tipps für die Vorbereitung ihres Freitods, andere sahen ihre Aufgabe darin, den Verzweifelten Mut zuzusprechen und ihnen neue Lebensperspektiven zu eröffnen.
    Vor einigen Wochen hatte der Dozent angerufen, um ihn auf die Fortsetzung des »krankheitsbedingt« unterbrochenen Seminars hinzuweisen. Aber Novalis dachte nicht daran, an die Universität zurückzukehren. Stattdessen hatte er seinen ehemaligen Lehrer freundlich aufgefordert, sich doch bei www.muenchner-freitod.de anzumelden.
    Nur zu gut war ihm der arrogante Ton des Dozenten noch im Ohr. »Ah ja, interessant. Davon hat man mir erzählt. Worum geht es denn in Ihrem Forum?«
    »Um Lebens- und Sterbehilfe und neue Erkenntnisse zum Thema Suizid.«
    »Was für ein bescheidener Anspruch.«
    Novalis hatte es ihm nicht übel genommen. Kein Wunder, dass der Mann verunsichert war. Er lockte mit seinen Seminaren kaum mehr als fünfzehn Teilnehmer, während www.muenchner-freitod.de sich vor Neuanmeldungen kaum retten konnte. Novalis hatte die Zahl der Mitglieder inzwischen rigoros begrenzen müssen, damit die Qualität der Diskussionen nicht litt und er den Überblick nicht verlor. Deswegen und nicht etwa aus Lokalpatriotismus sollten User grundsätzlich aus dem Großraum München stammen. Das war zwar kaum kontrollierbar, hielt aber doch einige davon
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