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Personenschaden

Personenschaden

Titel: Personenschaden
Autoren: P Probst
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jungen Menschen zerstört worden war. Was meinen Sie, wie lange er ausschließlich mit Medikamenten und bei Licht schlafen konnte? Er war nie ein ängstlicher Mensch gewesen, aber plötzlich traute er sich kaum noch aus der Wohnung und ist bei jedem Geräusch zusammengezuckt.«
    »Und jetzt? Wie ist er denn aus diesem Zustand wieder herausgekommen?«
    »Ich habe ihn überredet, eine Therapie zu machen. Er war einverstanden, wenn ich ihn zu jeder Stunde begleite. Das habe ich getan.«
    »Und ihre Mutter?«
    Er schüttelte verlegen den Kopf. »Es hat da einen   … Vorfall gegeben.«
    Schwarz wartete auf eine Erklärung.
    »Wenn Sie ihn gleich sehen, werden Sie es nicht für möglich halten. Er ist ein so friedlicher, besonnener Mensch. Aber er hat tatsächlich eine Bierflasche nach meiner Mutter geworfen. Ein Reflex. Sie hatte ohne Vorwarnung den Küchenmixer eingeschaltet. Das Geräusch muss ihn an das Kreischen der Zugbremsen erinnert haben.«
    Er lächelte. »Aber jetzt ist er wieder ganz der Alte, und morgen führe ich meine Eltern zum Essen aus. Zum besten Italiener im ganzen Münchner Westen.«
    »Doch nicht zu Enzo ins ›Eliseo‹?«
    »Wohin sonst? Wir feiern das Ergebnis der letzten medizinischen Untersuchung: Mein Vater darf wieder fahren.«
    »Freut mich. Das ging ja schnell.«
    »Ja, dieses Trauma lässt sich in den meisten Fällen recht gut behandeln, und unsere Psychologen sind da natürlich Experten.«
    »Ihre Psychologen?«
    »Ich arbeite auch bei der Bahn.«
    »In unserer tollen Pressestelle.« Der alte Mann, der das mit einer gewissen Bitterkeit in der Stimme hinzugefügt hatte, war unbemerkt eingetreten. Guter Kopf, dachte Schwarz, markante Nase, buschige Augenbrauen, dichtes, weißes Haar.
    »Mein Großvater, Rudi Engler. – Das ist Herr Schwarz, Opa.«
    Schwarz wollte sich erheben, aber der Alte legte ihm eine erstaunlich kräftige Hand auf die Schulter.
    »Bleiben Sie sitzen. Sie sind doch mein Held.«
    Schwarz schaute ihn verständnislos an.
    »Also, wie Sie dieses Nazipack aufgemischt haben: Respekt.«
    »Aufgemischt, na ja«, wiegelte Schwarz ab und dachte daran, dass sich einige Mitglieder von Tim Burgers Kameradschaftimmer noch auf freiem Fuß befanden und dieser von Medingen, der Drahtzieher im Hintergrund, ungehindert seine rechten Hetzparolen verbreiten durfte.
    »Jedenfalls wissen wir jetzt, wo der Feind steht«, sagte Großvater Engler und ballte die Faust.
    »Opa, ich fürchte, Herr Schwarz hat keine Zeit für politische Debatten. Er möchte mit Papa reden.«
    »Wissen Sie, wie das früher war, wenn uns einer vor den Zug gesprungen ist? Wir haben einen Tag frei gekriegt, und das war’s. Dass auch Lokführer eine Seele haben, hat sich erst später rumgesprochen. Dabei war mein Fall echt nichts für schwache Nerven: So ein armes, junges Ding hatte sich nachts quer übers Gleis gelegt. Wir haben zehn Minuten lang vergeblich nach ihrem Kopf gesucht. Ich   …«
    »Opa, hör auf! Das ist doch nicht nötig.« Thomas Engler war richtig laut geworden. Sein Großvater warf ihm einen geringschätzigen Blick zu, griff zu Pfeife und Tabakbeutel und verließ die Küche.
    »Ich liebe ihn, er ist ein Original, aber er kann einem gewaltig auf die Nerven gehen.«
    Schwarz registrierte erstaunt, wie schnell Thomas Engler zu seinem jovialen Ton zurückgefunden hatte. Das war wohl die hohe Schule der Öffentlichkeitsarbeit.

4.
    Klaus Engler stand groß und etwas schwerfällig am Wohnzimmerfenster und blickte versonnen auf die Schrebergärten mit ihren weiß lackierten Holzzäunen an der Rückseite des Gebäudes.
    Als Schwarz eintrat, drehte er sich um und lächelte verlegen.»Entschuldigen Sie mein kurzes Nickerchen. Ich habe meinen Tag-Nacht-Rhythmus leider auf der Schiene gelassen. Der Schichtdienst, wissen Sie?«
    »Kein Problem, Herr Engler, ich hatte ein interessantes Gespräch mit Ihrem Sohn.«
    Sie nahmen Platz, aber keiner wusste so recht, wie er beginnen sollte. Auch das Wohnzimmer war ganz im Stil der fünfziger Jahre mit einer taubenblauen Polstergarnitur und einem zweiteiligen Wandschrank eingerichtet. Über dem Sofa hing ein Stich mit einer Ansicht des Münchner Hauptbahnhofs aus dem Jahr 1903.
    »Uns verbindet was, Herr Schwarz«, durchbrach Engler schließlich das Schweigen.
    »Stimmt.«
    »Warum haben Sie ihn mir vor den Zug getrieben?«
    Schwarz zuckte zusammen. So hatte er das noch gar nicht betrachtet. Sofort waren sie wieder da: die Bilder der Verfolgungsjagd. Burger, der den
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