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Personenschaden

Personenschaden

Titel: Personenschaden
Autoren: P Probst
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dass jetzt irgendwelche Neonazis zu seiner Ermordung aufriefen.

3.
    Der sogenannte Lokomotivführerbau in der Eisenbahnersiedlung München-Laim war ein vierstöckiger, ockerfarbener Riegel aus der Gründerzeit. Er wirkte trutzig, fast ein wenig einschüchternd. Über dem Eingang prangten das Relief einer Dampflokomotive mit Tender und der Schriftzug »Erbaut1900«. Damals waren Lokführer noch etwas Besseres gewesen, und das sollte man sehen.
    Schwarz ignorierte ein Verbotsschild und lehnte sein Fahrrad an die Fassade. Es war nicht schwierig gewesen, die Adresse des Lokführers herauszufinden, denn Buchrieser, ein ehemaliger Kollege bei der Polizei, war mit den Ermittlungen zu Tim Burgers Selbstmord befasst gewesen.
    »Was willst du denn von diesem Engler, Toni?«
    »Die Unglücksstelle hat sich zum Wallfahrtsort für Neonazis entwickelt.«
    »Ist das ein Problem für dich?«
    Schwarz kannte Buchriesers Ansichten zu diesem Thema zur Genüge. Der Polizist fand, dass man zu viel Aufhebens um die Rechten machte. Die meisten von ihnen seien harmlos und wollten nur provozieren.
    »Es sollte auch eins für dich sein, aber du hast ja diese Sehschwäche auf dem rechten Auge.«
    »Was soll das heißen?«
    »Schon gut, Buchrieser.« Er hatte keine Lust auf eine längere Debatte mit seinem Ex-Kollegen, den er immer noch jede Woche beim Stammtisch traf. »Ich möchte den Lokführer besuchen, weil ich es einfach nicht aus meinem Kopf rauskriege, wie Tim Burger umgekommen ist. Ich würde gern hören, wie er das erlebt hat.«
    »Hast du zu viel Zeit? Gehen deine Geschäfte als Detektiv so mies?«
    »Ich bin Privatermittler.«
    »Hast du schon mal gesagt.«
    »Dann merke es dir. Außerdem leiste ich mir, solange es geht, den Luxus, auf die interessanten Fälle zu warten.«
    »Mir sind die langweiligen inzwischen lieber. Da schlafe ich besser.«
    Gut, dass ich kein Beamter mehr bin, dachte Schwarz.
     
    Er fand auf der Klingeltafel aus Messing den Namen Engler und läutete. Im Treppenhaus roch es scharf nach Reinigungsmittel. Eine junge Frau polierte die Glastüren des Aufzugs. »Ich hab’s gleich.«
    »Ich bin noch ganz gut zu Fuß«, sagte Schwarz und nahm sportlich die ersten Stufen. Doch schon im zweiten Stock musste er stehen bleiben und sich ausruhen. Ich bin noch keine Fünfzig, dachte er, wache jeden Morgen mit Rückenschmerzen auf und schnaufe bei der kleinsten Anstrengung wie ein Walross. Anton, jetzt fängst du endlich mit den Übungen an. Und ins Fitnessstudio gehst du auch – basta.
    Es war allerdings nicht das erste Mal, dass er diese tapferen Vorsätze fasste.
     
    »Herr Schwarz?« Der Mittdreißiger, der ihn vor einer Tür im dritten Stock erwartete, trug beige Designerjeans und ein marineblaues Polohemd. Mit seinem blonden, leicht gewellten Haar und den weichen Gesichtszügen wirkte er fast ein wenig weiblich.
    »Herr Engler?«, fragte Schwarz zweifelnd. Einen Lokführer hatte er sich anders vorgestellt.
    »Der Sohn, Thomas Engler. Mein Vater hat sich kurz hingelegt.«
    »Dann schau ich ein andermal vorbei.«
    »Nein, nein, kommen Sie rein, er schläft nie lange.«
    Sie traten in eine echte Fünfziger-Jahre-Küche. Die pastellfarben lackierten Hängeschränke und der Nierentisch erinnerten Schwarz an seine frühe Kindheit.
    »Das ist die Wohnung meines Großvaters«, erklärte Thomas Engler, der Schwarz’ Gedanken zu erahnen schien.
    »Aber Ihr Vater wohnt auch hier?«
    »Vorübergehend. Meine Mutter hat das Ganze psychisch nicht mehr gepackt und brauchte dringend etwas Abstand.«
    Etwas Abstand, dachte Schwarz, und sein Magen zog sich zusammen. So hatte Monika es ihm auch erklärt. Und nun führten sie schon seit mehr als drei Jahren eine Ehe auf Abstand.
    Thomas Engler deutete auf zwei rote, vinylgepolsterte Stühle. Sie setzten sich.
    »Ich kann mir vorstellen, dass Ihre Eltern einiges durchgemacht haben«, sagte Schwarz.
    »Das kann man wohl sagen. Besonders in den ersten Tagen danach wusste ja keiner, was in meinem Vater vorging. Er hat nur noch vor sich hingestarrt und auf nichts reagiert. Irgendwann hat er gesagt, dass er unaufhörlich diesen einen Satz denken musste: Warum? Warum habe ich das nicht verhindern können?«
    »Er hatte Schuldgefühle?«
    »Ja, bis zur Selbstzerfleischung.«
    »Aber er ist doch von einem Selbstmörder
benutzt
worden. Was hätte er denn tun können?«
    »Das hat er in der ersten Zeit danach nicht so sehen können. Er dachte nur daran, dass durch seine Lok das Leben eines
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