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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
Autoren: Pascal Mercier
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lautes Lachen aus und gab Perlmann einen übermütigen Kuß. Trotzdem ließ er sich den Teppich nicht abluchsen.
    Später kam sie so leise in die Küche, daß er sie, mit dem Kochen beschäftigt, lange nicht bemerkte.
    «Du hast Fotos weggeräumt», sagte sie.
    «Ja», erwiderte er und sah sie kurz an, den Salzstreuer in der Hand.
    «Aber diese läßt du jetzt, oder?»
    «Ja», sagte er,«bestimmt.»
    «Macht diese Mrs. Sand gute Aufnahmen?»
    «Es geht», sagte er.
    «Schwarzweiß?»
    «Farbig.»»
    «Ach so», sagte sie erleichtert und nahm ein Stück Lachs von der Platte.
    Beim Essen ließ sie plötzlich Messer und Gabel sinken und starrte auf seine Hand.
    «Du hast den Ring abgenommen. »
    Perlmann schoß das Blut ins Gesicht. Er sagte nichts.
    «Entschuldige», sagte sie leise,«das ist natürlich deine Sache.»
    Später, beim Zusammenräumen des Geschirrs, fragte sie betont beiläufig:«Die Blonde in der Gruppe, wie hieß sie gleich? Evelyn...»
    «Mistral», ergänzte er und stellte die Kaffeetassen weg.
    Er stand im Arbeitszimmer, als sie ihm das Weihnachtsgeschenk überreichte. Einen marineblauen Seemannspullover, wie er ihn schon immer haben wollte. Er legte das Papier zur Seite und faltete ihn auseinander. Da lag ein Buch. Nikolaj Leskov, Meistererzählungen. Er brachte kein Wort heraus, drehte das Buch stumm in der Hand.
    «Ein irre wichtiger Autor», sagte Kirsten.«Martin schreibt gerade eine Arbeit über ihn. Leider ist es mir nicht gelungen, eine russische Ausgabe aufzutreiben. Freust du dich nicht?»
    «Doch, doch», sagte er heiser und trat mit feuchten Augen ans Fenster.
    Sie schlang von hinten die Arme um ihn.«In diesen Tagen ist es besonders schwer, nicht?»
    Er nickte.
    Wie immer ging sie neugierig an seinen Bücherregalen entlang.«Du hast umgeräumt.»
    Er sah sie fragend an.
    «Ich sehe die russischen Bücher nicht. »
    Perlmann steckte die Nase in eine Schublade des Schreibtischs.«Ich habe sie... weggeräumt. Vorübergehend. »
    «Auch das große Wörterbuch, das ich in Italien gesehen habe? Das mit dem ekligen Papier?»
    Er nickte.
    «Und auch den Band von echov? Ich habe Martin davon erzählt.»
    «Ich... es war neulich so eine Anwandlung. »
    Eine Weile sah sie schweigend auf die Bücherwand.«Dann war das mit Leskov vielleicht gar keine so gute Idee. »
    Perlmann zuckte zusammen, als er den Namen aus ihrem Mund hörte.
    «Doch, doch», sagte er rasch,«das ist was anderes.»Es klang fade und unglaubwürdig.
    Beim Abwaschen sprachen sie nicht viel.
    «Papa», fragte sie in die Stille hinein,«ist dort unten, ich meine in Italien, etwas passiert?»
    Die Hände, mit denen er die Pfanne putzte, waren auf einmal ganz gefühllos. Mechanisch fuhr er mit dem Lappen den Rand entlang.«Wie meinst du – passiert?»
    «Ich weiß auch nicht. Du bist seither irgendwie... anders.»
    Er sah auf die Brotkrumen, die im Abwaschwasser schwammen. Eine Antwort war überfällig.«Ich bin etwas... aus dem Gleichgewicht. Aber mit Italien hat das nichts zu tun.»
    Als sich ihre Blicke trafen, sah er, daß sie ihm nicht glaubte.
    «Weißt du noch», fragte sie mit einer Munterkeit, die das Thema vergessen machen sollte,«wie wir in dem weißen Hotel gesessen haben und der Kellner mit den Getränken den weiten Weg von der Bar machte?»
    Als Kirsten schlafen gegangen war, holte Perlmann den Koffer aus dem Schrank. Der Ehering war ganz in die Ecke des Krawattenfachs gerutscht. Er schloß ihn im Schreibtisch ein. Danach fand er keinen Schlaf. Trotzdem nahm er keine Tablette. Einmal ging er zum Besenschrank und zog den Schlüssel ab.
     
    Am Morgen schneite es, so daß er eine Ausrede hatte, das Auto nicht aus der Garage zu holen. Er war froh, daß es im Taxi und auf dem Bahnsteig noch eine Reihe praktischer Dinge zu besprechen gab. Beim Abschied sah ihn Kirsten an, als wolle sie ihre Frage noch einmal stellen. Er tat, als merke er nichts, und hob ihren Handschuh auf. Er machte es zu einem nüchternen Abschied, der ihm so weh tat, daß er nachher minutenlang ziellos durch den Bahnhof irrte.
    An diesem Tag hatte er das Gefühl, mit dem Training in Langsamkeit noch einmal ganz von vorn beginnen zu müssen, und verbrachte viel Zeit vor der tickenden Uhr. Für den Brief nach Princeton machte er ein halbes Dutzend Entwürfe mit unterschiedlichen Notlügen. Er mußte ständig gegen die Neigung zum Bekennerhaften ankämpfen, und besiegt war sie erst, als er ihr freien Lauf ließ und den Text nachher angeekelt wegwarf.
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