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Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Perlmanns Schweigen: Roman (German Edition)
Autoren: Pascal Mercier
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Ansicht nach müßten in einer solchen Gruppe Leute aus unterschiedlichen Disziplinen vertreten sein. Es war eine hingeworfene Bemerkung gewesen, nicht durchdacht und ohne ernsthaften Gedanken an eine Verwirklichung. Seinem Eindruck nach war alles genügend im Unbestimmten und Unverbindlichen geblieben, und er hatte es plötzlich eilig gehabt, in den Konferenzraum zu kommen.
    Er hatte das Gespräch vergessen, bis einige Wochen später ein Brief von Angelini kam und kurz darauf ein Anruf aus der Zentrale von Olivetti in Ivrea. Perlmanns Vorschlag, hieß es da nun plötzlich, habe in der Firma großen Anklang gefunden, besonders natürlich bei einigen Kollegen aus der Forschungsabteilung, aber auch von der Direktion sei die Idee gut aufgenommen worden. Besonders angetan sei man von der Möglichkeit, auf diese Weise ein Vorhaben fördern zu können, das einerseits etwas mit den Produkten der Firma zu tun habe, andererseits aber weit darüber hinausreiche, indem es ein Thema von allgemeinem Interesse, sozusagen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung, aufgreife. Er, Angelini, schlage vor, die Sache im kommenden Jahr in Santa Margherita Ligure durchzuführen, einem Badekurort unweit von Rapallo am Golf von Tigullio. Sie hätten dort schon öfter Tagungen abgehalten und nur gute Erfahrungen gemacht. Am günstigsten für das geplante Unternehmen, sagte er, seien die Monate Oktober und November, da sei es noch mild, aber es seien kaum noch Touristen da, es herrsche eine stille, beschauliche Atmosphäre, genau das Richtige also für eine Forschungsgruppe. In allen anderen Dingen habe Perlmann als der Leiter völlig freie Hand, insbesondere natürlich bei der Auswahl der Leute.
    Perlmann biß sich auf die Lippen und spürte einen hilflosen Ärger in sich aufsteigen, als er an jenes Gespräch zurückdachte. Er hatte sich von der sonoren, sehr sicheren Stimme am anderen Ende überrumpeln lassen, und das ohne den geringsten Grund. Diesem Carlo Angelini war er nicht das mindeste schuldig. Er war damals froh darüber gewesen, daß er ihm half, die Konferenz zu schwänzen; im übrigen aber war er ein Fremder, dessen Ehrgeiz ihn nun wirklich nicht zu kümmern brauchte, ganz zu schweigen von irgendwelchen Wünschen der Firma Olivetti. Gewiß, er hatte in dem Gespräch noch keine Zusage gegeben. Ganz nüchtern betrachtet hätte er danach immer noch nein sagen können. Aber er hatte den entscheidenden Moment verpaßt, den Moment, in dem es ganz natürlich gewesen wäre zu sagen: Da ist ein Mißverständnis entstanden, so war es damals nicht gemeint, es tut mir leid, aber das paßt wirklich überhaupt nicht zu meinen sonstigen Plänen, ich bin jedoch sicher, daß es eine ganze Reihe von Kollegen gibt, die Ihren Plan sehr gerne verwirklichen würden, ich werde über Namen nachdenken. Statt dessen hatte er versprochen, sich die Sache zu überlegen. Und statt einfach eine angemessene Frist verstreichen zu lassen und dann abzusagen, hatte er die Karte geholt. Agnes und er hatten darüber gesessen und sich ausgemalt, was man von dort aus leicht erreichen könnte, Pisa zum Beispiel und Florenz, aber auch Bologna, das sie besonders mochten. Italien im Winter, das war eine Lieblingsidee von Agnes, sie hatte haufenweise Pläne fürs Fotografieren, vielleicht würde sie es sogar einmal mit Farbfotografie probieren, über die sie sonst erhaben war, wie auch immer, auf jeden Fall möchte ich versuchen, das Licht des Südens einzufangen, wie es im Winter ist, und das ist die Gelegenheit, findest du nicht auch? Der Agentur werde ich das schon schmackhaft machen, ich werde ein bißchen reden müssen, aber schließlich werden sie mich ziehen lassen. Vielleicht kann ich sogar eine Serie daraus machen: . Wie fändest du das? Zwar waren Oktober und November noch nicht Winter, aber er wollte nicht pedantisch sein, und etwas von ihrer Begeisterung war damals auch auf ihn übergesprungen. Es war grotesk, dachte er und preßte die Fingerspitzen auf die Augen, aber er hatte sich damals tatsächlich vor allem in der Rolle desjenigen gesehen, der Agnes auf ihrer Fotoreise begleiten würde, getragen und beschützt von ihrer Fähigkeit, für sie beide die Gegenwart zu erobern. Es kam ihm heute unglaublich vor, aber so war es gewesen: Aus dieser Vision, dieser Träumerei heraus hatte er schließlich zugesagt, hatte seine Beurlaubung beantragt und die ersten Einladungsbriefe geschrieben. Als dann zehn Monate später mit Agnes’ Tod
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