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Perlensamt

Perlensamt

Titel: Perlensamt
Autoren: Barbara Bongartz
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seiner Familie. Natürlich hatten die Seligmans das Haus verlassen müssen. Die kluge Marguerite aber hatte dem erzwungenen Akt ihren Stempel aufgedrückt. Sie hatte alles, was wertvoll war, an Freunde verschenkt. Selbst die Kamelien – vor der Reichskristallnacht hatten sie, zusammen mit den Rhododendren und Buchsen, die Hofanlage zu einer ästhetischen Legende gemacht – hatte sie auspflanzen und in andere Gärten verlegen lassen. Die Familie verließ das Haus mit nichts als ein paar Reisetaschen an der Hand. Als die braunen Kretins in der Hoffnung anrückten, in den Betten der Seligmans zu schlafen und von ihrem Silber zu essen, fanden sie die Wohnung leer und den Innenhof verödet.
    »Woher haben Sie das alles?« fragte ich Perlensamt.
    »Aus dieser Zeit ist viel dokumentiert. Die Nazis sind auf ihre Grausamkeiten stolz gewesen. Alles ist in Akten vermerkt. Sie wollten beweisen, daß auch wirklich jede Perversion auf ihr Konto ging.«
    »Sie haben das alles recherchiert, nur weil Sie hier wohnen?«
    »Es wäre doch eher merkwürdig, in dieser Stadt nicht zu recherchieren. Wenn man in einem alten Gebäude an so einer Adresse wohnt, heißt das, daß sich in jenen Jahren Schlimmes ereignet hat. Außerdem – meine Großeltern, nun, wir haben eine gewisse Verbindung zu diesen Leuten gehabt, eine unschöne.«
    Dann zuckte er mit den Schultern, als sei das Ganze doch nicht so wichtig oder zumindest Ansichtssache. Meine gute Laune war verflogen. Wieder einer, der freiwillig von Schuld und Sühne sprach. Man schien hier von diesem Thema so besessen zu sein wie bei uns zu Hause von Baseball.
    »Wie Sie sehen, ist die Anlage wieder ganz passabel geworden. Natürlich erinnern die heutigen Pflanzungen nur spärlich an die ehemalige Pracht. Können Sie sich die Kamelien in diesem Gemäuer vorstellen? Es muß ein Traum von Süden gewesen sein. Leider gibt es keine Photographien davon.«
    Perlensamt sprach so begeistert auf mich ein, daß ich mich nicht wunderte, als er mich nach dem Rundgang auf ein Glas in seine Wohnung bat. Ich sagte ihm, daß ich leider ablehnen müsse, im Büro warte ein Haufen Arbeit auf mich.
    »Schade. Aber vielleicht kommen Sie einfach wieder vorbei. Wir hätten uns sicher viel zu sagen.«
    Er sah mich eindringlich an. Ernst, ohne den Anflug eines Lächelns. Seine großen Augen wirkten fast so schwarz wie seine Haare. Sie blickten ruhig, als sei nichts Besonderes an seinem Vorschlag. Ich fühlte mich ein wenig unbehaglich, ohne zu wissen, warum. Perlensamt war das, was man schön nennt. Das ist bei Männern noch faszinierender als bei Frauen, finde ich. Und verwirrender.
    »Sehr gern«, sagte ich zu meinem eigenen Erstaunen.
    »Warum nicht.«

ZWEI
    Ich glaube, ich hätte die Begebenheit vergessen, wenn ein Zeitungsartikel mich nicht wenige Tage später stutzig gemacht hätte. Der Journalist sprach von einem mysteriösen Gewaltakt in Märchenkulisse, entdeckt bei Morgengrauen im Schlafzimmer eines Hauses in der Fasanenstraße. Die Hofanlage des bemerkenswerten Gebäudekomplexes, gegen Ende des 19. Jahrhunderts errichtet, ziert mittig ein Springbrunnen mit allegorischen Figuren. Uralte Farne von über einem Meter Höhe, in verschiedene Formen geschnittene Buchse und Kübel mit üppig blühenden Funkien verleihen dem Ort einen Hauch von Melancholie. Reste des Grimmschen Märchenlandes haben sich wie durch ein Wunder inmitten der neuen, pulsierenden Hauptstadt erhalten und raunen von vergangener Zeit.
    »Hast du das gelesen?«
    »Was?«
    »Das hier: da ist eine Frau erschossen worden.«
    »Na und, meinst du, so was passiert nur im Fernsehen?«
    Ich schob den Auktionskatalog beiseite und setzte mich auf meinen Schreibtisch, der dem Monas gegenüberstand.
    »Natürlich nicht.«
    Ich rollte eine Ecke der Zeitung zu einem Eselsohr und starrte auf den Artikel. Das Haus, von dem hier die Rede war, mußte das sein, in dem Perlensamt wohnte. Vor ein paar Tagen hatte ich noch in diesem Innenhof gestanden, und nun war dort eine Katastrophe passiert. Ich gebe zu, daß Katastrophen mich faszinieren. Ich sage das nicht gern. So wenig, wie man gern zugibt, daß man Verdauungsstörungen hat. Verdauungsstörung ist genau das richtige Wort für das, worunter ich leide. Ich reagiere auf Gewaltakte in nächster Umgebung mit einem von Ekel und Anziehung durchmischten Interesse. Ich muß hingucken, auch wenn sich mir der Magen umdreht. Ich fixiere das Grauen, als hätte mich jemand an Ort und Stelle genagelt. Ich starre hin
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