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Perlensamt

Perlensamt

Titel: Perlensamt
Autoren: Barbara Bongartz
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Leben.
    Großmutter las Rosie die Ergebnisse der Untersuchung am Telefon vor, als wir längst wieder in den Alltag der Humboldt Street eingetaucht waren. Auch über die Ursache und die merkwürdigen Hintergründe stellten sie Mutmaßungen an. Angeblich war die Lenkung des fabrikneuen Käfers defekt gewesen. Der Tatbestand galt weiterhin als mysteriös. Typisch deutsch, sagte Rosie. Sie sprach noch wochenlang davon, als adelte dieses Unglück im nachhinein ihre Gelüste, das Land zu verlassen. Dergleichen Dinge, versuchte sie mich später immer wieder zu überzeugen, würden sich in den Staaten niemals ereignen, jedenfalls nicht aus einem so banalen Grund. Sie rannte offene Türen ein. Mir war längst klar, daß Amerika der Traum aller Menschen sein mußte. Ich verstand, was Rosie meinte, wenn sie uns privilegiert nannte. Deutschland war schrecklich. Gefährlich. Düster. Man konnte umkommen in diesem Land.
    Und jetzt das. Ein Mordfall in unmittelbarer Nähe, in einem mir bekannten Haus mit einem mir bekannten Bewohner. David Perlensamt. Ich sah ihn wieder vor mir stehen und fragen, ob er mir helfen könne …
    »Martini! Träumst du schon wieder? Du sollst dich um die Auktion kümmern. Bist du mit deinen Klunkern durch? Meine Güte, was hast du denn? Du siehst ja aus, als hättest du mit ansehen müssen, wie jemand aus deiner Familie erschossen worden ist.«
    »Ganz so schlimm ist es nicht. Aber ich habe so eine komische Ahnung.«
    »Die hast du doch immer. Wahrscheinlich hast du diesen Beruf nur ergriffen, damit du einen Vorwand dafür hast, komischen Ahnungen nachgehen zu können.«
    Ich versuchte, zu grinsen. Es gelang mir nicht. »Da stimmt etwas nicht. Da ist etwas faul.«
    »Das ist im allgemeinen wohl so, wenn irgendwo ein Mord geschehen ist.«
    »Das meine ich nicht. Ich meine das Haus, die Adresse. Ich habe da neulich jemanden kennengelernt. Purer Zufall.«
    »Wie alles im Leben, nicht wahr?«
    »Ich war schon öfter da, weil mir der Innenhof so gut gefiel. Als ich das letzte Mal dort war, ließ mich jemand hinein und erzählte mir eine erstaunliche Geschichte von der Flucht einer jüdischen Familie. Ich rätsele immer noch, ob es seine eigene Familiengeschichte ist, die er mir erzählt hat. Perlensamt heißt er, gut aussehender Mann, etwas merkwürdig in seiner Art.«
    »Oh nein, nicht schon wieder Tod und Vernichtung. Martin, du siehst aus, als sei es deine Familiengeschichte und nicht die von diesem Perlendings.«
    »Perlensamt.«
    »Wie auch immer. Warum habt ihr Amerikaner nur immer so romantische Vorstellungen von Familien?«
    »Was weißt du von meiner Familie?« blaffte ich.
    Sie kicherte. »Alles, Martin Saunders. Alles über dich und die deinen. Das Geheimnis deiner Ahnen tropft dir wie Speichel von den Lippen.«
    Mona trug an diesem Sommertag ein weißes Kleid mit rosa Rosen. Die roten Haare standen in einem lockigen Büschel um ihren Kopf. Ihre Augen mit der seegrünen, honigumrandeten Iris blitzten. Es hieß, sie käme aus dem deutschen Ruhrgebiet. Arme Verhältnisse. Ihr Vater soll Hauer in einem Bergwerk gewesen sein. Firmenklatsch. Ich wußte damals noch nichts Genaues über Mona. Ihr Schalk und ihre Schlagfertigkeit hatten sie sogar davor bewahrt, daß man sie in jenes Spiel einbezog, das jeder Neuling in der Firma , wie das Auktionshaus Nobble NYC bei den Angestellten hieß, zu durchlaufen hatte. In diesem Spiel wurde man auf seine »Provenienz« geprüft. Auch mit mir hatte man das gemacht. Ich ging mit wunden Handgelenken nach Hause. Sie schmerzten nach dieser sogenannten Prüfung, als hätte man mir Fesseln angelegt. Natürlich war ich durchgefallen. Ich hatte weder eine englische Schule besucht noch ein Schweizer Internat. Ich hatte keinen adeligen Onkel, der 1944 hingerichtet worden war. Mit berühmten Namen jonglieren konnte ich auch nicht. Statt dessen gab es eine Lücke in meiner Biographie, meine Gene hinkten, und die Fassade, hinter der ich aufgewachsen war, war so pompös wie die der Reihenhäuser in Brooklyn eben sind. Mich hatte man beeindrucken können. Mona nicht. Sie, die aussah wie eine säkularisierte Madonna, verdrehte die üblen Scherze. Sie spielte mit ihnen, wie sie mit allem spielte, das sich hoch ansiedeln wollte. Sie taufte das Spiel Familie und Verderben. Die Initiatoren des Spotts fühlten sich verspottet und hielten den Mund.
    »Es gibt kein Geheimnis. Meine Vorfahren interessieren mich nicht.«
    »Sag das nicht. Sind sie nicht alle nach Amerika ausgewandert,
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