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Perlensamt

Perlensamt

Titel: Perlensamt
Autoren: Barbara Bongartz
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nein, emigriert? Man sagt emigriert, wenn die Gründe dramatisch sind, nicht wahr?«
    »Ich weiß nicht, was daran komisch ist. Man sollte damit keine Scherze machen. Wir haben keine Opfer in der Familie«, knurrte ich. »Täter übrigens auch nicht.«
    »Aber vielleicht Wahlverwandte? Der wahre Familienroman handelt von Wahlverwandten. So werden Nazis zu Juden und Juden zu Nazis und Enkel zu Tätern und Täter zu Opfern und ganz gewöhnliche Leute zu Aristokraten. Durch Betroffenheit, nie gehört?«
    Sie grinste. Ich wurde wütend und wußte nicht, warum. Mona war in der Lage, zwischen Moral und Spott hin und her zu springen, und manchmal ging sie in beidem zu weit. Natürlich waren wir durch unseren Job auch mit den Plünderungen der Nazis beschäftigt, mit der Verschleppung von Kunst durch die Russen, und das lange bevor Journalisten wie Hector Feliciano mit ihren Recherchen lautstark an die Öffentlichkeit traten und das Beschlagnahmen von Bildern als der Anwälte liebstes Kind Furore machte. Es gehörte zu unserem Frühstück, zu sortieren, was Raub- und was Beutekunst war. Erst die braunen Brigaden, dann die Roten. Die Auflistungen der beteiligten Namen lasen sich wie ein Gotha der Krämer und Schieber. Kunst verleiht Adel. Es war eine verdammt düstere Geschichte. Sie hatte mich wiederholt nach Paris gebracht. Auch nach Zürich. Budapest. Petersburg. Sogar nach Shanghai. Manches Mal hatte ich in Berlin an einer Straßenecke gestanden, eigentlich auf dem Weg ins Museum oder Archiv. Plötzlich mutlos. Was ich vor mir sah, war das: Die Oberfläche eines Bildes schien dieselbe zu sein wie vor der Plünderung. Aber auf den zweiten Blick schlug seine Geschichte durch. Wer der erste Eigentümer war. In wessen Haus es hing. Wem es von der Wand gerissen wurde. Fatalerweise konnte ich die Kunst, die bis ’45 entstanden war, nicht mehr unschuldig betrachten. Die verdammten Nazis haben unsere Wahrnehmung nachhaltig gestört. Das Schicksal der Eigentümer ist auf diffuse Art in diesen Bildern präsent. Sie sind nicht mehr ausschließlich Produkte ihrer Maler. Sie stehen nicht mehr nur für ihre Epoche. Ihre Geschichte repräsentiert Enteignung. Mißhandlung. Gaskammertod. Mir fiel eine Begebenheit in Manhattan ein. Ich arbeitete gerade – damals noch als Provenienzforscher – ein paar Monate in Berlin und hatte bei meinen Eltern Thanksgiving verbringen wollen. Um mir einige Ausstellungen anzusehen und ein paar alte Freunde zu treffen, kam ich einige Tage früher in die Stadt. Auf einer Cocktailparty bei Jeffrey Knowles, mit dem zusammen ich Examen gemacht hatte und der inzwischen bei Christies für Schmuck zuständig war, lernte ich eine Dame kennen. Margaux Veil. Jeffrey kannte sie schon länger und hatte mir immer wieder die kuriosesten Dinge von ihr erzählt. Ihr Alter war schwer zu schätzen: blond gefärbt, perfekt geliftet, trug sie immer hochgeschlossene Kleider, die kritische Stellen verbargen. Vielleicht hatte sie ihre Handrücken bleichen lassen, jedenfalls waren sie fleckenfrei. Auf bizarre, sehr altmodische Art wirkte sie elegant – der Rest war Geheimnis. Jeffrey hielt sie für reich, und es gab dafür tatsächlich einige Anhaltspunkte. Sie lebte in einem Haus auf der Fifth Avenue, einem handtuchschmalen Gebäude, zwei Blocks vom Hotel Pierre entfernt. Ihr verstorbener Mann war angeblich in den fünfziger Jahren Präsident einer Bank in Buenos Aires gewesen. Nach seinem Selbstmord übersiedelte sie nach New York. Sie sprach perfekt Deutsch mit leichtem Berliner Tonfall. Immer wieder tauchten Worte darin auf, die heute in Deutschland niemand mehr verwendet. Was, und wie sie über Berlin erzählte, verriet, daß sie weit über Siebzig sein mußte. Ich unterhielt mich an diesem ersten Abend angeregt mit ihr über chinesische Kunst. Zwei Tage nach der Party rief sie mich an. Ich sollte sie auf eine andere Einladung begleiten, dieses Mal, wie sie es nannte, in ein weniger neugieriges Viertel – mit neugierig meinte sie Jeffreys Wohnung in der Orchard Street. Um halb neun stand ich vor dem aufwendig gestalteten Portal. Das Haus hatte nur zwei Klingeln, eine für Margaux’ Gäste und eine für Lieferanten. Sie bewohnte also tatsächlich das einzige Einfamilienhaus auf der Fifth Avenue, das es noch gab, allein. Ich läutete. Sie meldete sich sofort.
    »Einen Augenblick.«
    Sie ließ mich wie einen Fahrer vor der Haustür warten. Sie sei gleich unten, sagte sie. Zwei Minuten später stand sie auf der Straße.
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