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Perfekt! Der überlegene Weg zum Erfolg (German Edition)

Perfekt! Der überlegene Weg zum Erfolg (German Edition)

Titel: Perfekt! Der überlegene Weg zum Erfolg (German Edition)
Autoren: Robert Greene
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seltsamsten und erstaunlichsten Schaffensperioden in der Geschichte des menschlichen Geistes. Er war Mitte fünfzig, als sie begann, und Ende sechzig bei ihrem Ende. Der Dämon, den er mehrere Jahrzehnte unterdrückt hatte, war wieder ausgebrochen, aber er besaß nun genug Disziplin, um seine Energien in verschiedene Arbeiten zu lenken. Gedichte, Romane und Theaterstücke strömten aus ihm heraus. Er nahm sich den Faust erneut vor und schrieb in jener Zeit den Großteil des Stückes. Seine Tage waren mit einer verwirrenden Mischung aus Studien angefüllt – morgens schrieb er, nachmittags experimentierte er und führte wissenschaftliche Beobachtungen durch (die sich inzwischen auch auf Chemie und Meteorologie erstreckten), abends diskutierte er mit Freunden über Ästhetik, Naturwissenschaften und Politik. Er war unermüdlich und schien eine zweite Jugend zu erleben.
    Goethe war inzwischen zu der Überzeugung gelangt, dass alles menschliche Wissen Manifestationen eben jener Lebenskraft waren, die er bei seiner Nahtoderfahrung als junger Mann gespürt hatte. Doch leider errichteten die meisten Menschen künstliche Mauern um Themen und Ideen. Der wahre Denker sah die Verbindungen, erkannte die Essenz des Lebens, die in allem wirkte. Warum sollte sich jemand auf Dichtung beschränken oder Kunst für grundsätzlich verschieden von Wissenschaft halten oder seinen oder ihren intellektuellen Interessen Grenzen setzen? Der Geist war von Natur aus dazu bestimmt, Dinge zu verbinden, wie ein Webrahmen, der alle Fäden zu einem Stoff verknüpft. Wenn das Leben ein organisches Ganzes war und nicht in Einzelteile zerlegt werden konnte, ohne dass man das Gespür für das Ganze einbüßte, dann sollte das Denken sich dem Ganzen angleichen.
    Freunde und Bekannte bemerkten an Goethe in seinen letzten Lebensjahren ein seltsames Phänomen: Er sprach gern über die Zukunft, von einer Zeit, die mehrere Jahrzehnte oder Jahrhunderte in der Zukunft lag. In seinen Weimarer Jahren hatte er neben seinen Studien viele Bücher über Wirtschaft, Geschichte und Politik gelesen. Die neuen Einsichten, die er durch diese Lektüre gewann, fügte er seiner eigenen Argumentation hinzu. Er sagte gern den Verlauf historischer Ereignisse voraus und lag mit seinen Vorhersagen oft erschreckend richtig. Er hatte mehrere Jahre vor der Französischen Revolution den Fall der Bourbonenmonarchie vorhergesagt, weil er intuitiv erkannt hatte, dass das Königshaus seine Legitimierung in den Augen seiner Untertanen verloren hatte. Er nahm auf deutscher Seite an den Schlachten gegen das revolutionäre Frankreich teil, und erlebte den Sieg der französischen Bürgerarmee bei der Schlacht von Valmy. Damals rief er aus: »Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.« Er meinte die Epoche der Demokratien und der Bürgerarmeen.
    Mit über siebzig Jahren erzählte er allen, dass die Kleinstaaterei dem Untergang geweiht sei und Europa eines Tages eine Union bilden würde wie die Vereinigten Staaten, und er begrüßte diese Entwicklung. Er sprach voller Begeisterung über die Vereinigten Staaten und sagte voraus, dass sie eines Tages eine Großmacht sein würden, dass sie ihre Grenzen langsam ausdehnen und sich irgendwann über den ganzen Kontinent erstrecken würden. Er sprach davon, dass die neue Technik der Telegrafie alle Teile der Welt miteinander verbinden würde, und dass Menschen stündlich die neuesten Nachrichten erfahren würden. Er nannte diese Zukunft das »veloziferische Jahrhundert«, das von Schnelligkeit bestimmt wird. Er war besorgt, dass es zu einer Abstumpfung des menschlichen Geistes führen würde.
    Mit 82 Jahren spürte er schließlich sein Ende nahen, auch wenn sein Geist mit mehr Ideen erfüllt war, als jemals zuvor. Er bemerkte einem Freund gegenüber, es sei eine Schande, dass er nicht noch weitere 80 Jahre leben konnte – was könnte er in dieser Zeit noch alles entdecken mit seinem großen Erfahrungsschatz! Er hatte es seit Jahren immer wieder hinausgeschoben, aber jetzt musste er endlich das Ende des Faust schreiben: Der Gelehrte erlebt einen Moment des Glücks, der Teufel holt seine Seele, aber die göttlichen Kräfte vergeben Faust wegen seines großen intellektuellen Ehrgeizes, seiner rastlosen Suche nach Wissen, und erretten ihn vor der Hölle. Möglicherweise urteilte Goethe hier über sich selbst.
    Wenige Monate später schrieb er an einen Freund, den Linguisten und Lehrer
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