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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench
Autoren: Boris Akunin
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dadurch verlor Antipa vollkommen die Fassung.
    »Ich rannte zum Vater Archimandrit, und der stieß wüste Schimpfworte gegen mich aus – er glaubte mir nicht«, klagte Antipa mit weinerlicher Stimme. »Er hat mich bei Wasser und Brot in die Strafzelle gesetzt und die Tür verschlossen. Vier Tage habe ich da gesessen, gezittert und den ganzen Tag lang gebetet, meine Eingeweide waren ganz zusammengeschrumpft. Als ich herauskam, taumelte ich. Aber Seine Hochwürden hatte sich schon eine neue Aufgabe für mich zurechtgelegt: Ich sollte von Kanaan nach Ukatai, der am entferntesten gelegenen Insel fahren und künftig dort arbeiten, bei der Schlangenzucht.«
    »Wozu denn das?«, wunderte sich Mitrofani.
    »Doktor Korowin hat den Archimandriten auf diese Idee gebracht. Donat Sawwitsch ist ein gewitzter Mann, Seine Hochwürden hört auf ihn. Er hat gesagt, Schlangengift stehe bei den Deutschen hoch im Preis, also züchten wir jetzt Nattern. Wir pressen ihnen das Gift aus dem widerlichen Rachen und schicken es nach Deutschland.« Antipa spuckte aus, schlug das Kreuzzeichen über seinem Mund, um sich mit dem frevelhaften Spucken nicht zu versündigen, und griff in seine Kutte. »Aber die erfahrensten, mit göttlicher Weisheit begabtesten Mönche hielten eine geheime Versammlung ab und rieten mir, nicht nach Ukatai zu fahren, sondern mich zu Eurer Ehrwürdigen Eminenz zu flüchten und über alles zu berichten, was ich gesehen und gehört habe. Sie haben mir auch einen Brief mitgegeben. Hier ist er.«
    Der Bischof runzelte die Stirn, griff nach dem grauen Papier, setzte das Pincenez auf und begann zu lesen. Ohne Umstände blickte Pelagia ihm dabei über die Schulter.
    Hochwürdigste, hochgeachtetste Eminenz!
    Wir, die unten genannten Mönche des Klosters Neu-Ararat, fallen Eurer Ehrwürdigen Eminenz demütig zu Füßen und flehen, Sie möchten in Ihrer Weisheit nicht Ihren erzbischöflichen Zorn auf uns lenken, weil wir eigenmächtig und vermessen gehandelt haben. Wenn wir es wagten, unserem hochehrwürdigen Archimandriten Ungehorsam zu leisten, dann nicht aus Starrsinn, sondern einzig und allein aus Gottesfurcht und dem Bestreben, Ihm zu dienen. Ewig eitel ist die Arbeit des irdischen Lebens, und Menschen verfallen auf hohle Gedanken, doch alles, was Bruder Antipa Eurer Eminenz zur Kenntnis bringt, ist die reine Wahrheit, denn dieser Mönch ist bei uns bekannt als ehrlicher, uneigennütziger Bruder, der keineswegs zu eitlen Träumereien neigt. Außerdem haben wir alle, die hier unterzeichnen, das Gleiche gesehen wie er, wenn auch nicht aus solcher Nähe.
    Vater Witali hat sein Herz gegen uns erhärtet und erhört uns nicht, und unterdessen gibt es in der Bruderschaft Unstimmigkeiten und Zweifel, ja, es ist furchtbar: Was mag dieses bedrückende Vorzeichen bedeuten? Warum erhebt der heilige Wassilisk, der Schutzpatron dieses heiligen Klosters, drohend den Finger und belegt seine hohe Einsiedelei mit Schmähungen?
    Und was haben die Worte »Sie soll veröden« zu bedeuten? Beziehen sie sich auf die Einsiedelei, auf die Klosteranlage, oder sind sie vielleicht in einem noch weiteren Sinne gemeint, den wir, die wir schwach im Geiste sind, uns nicht vorzustellen wagen? Es ist lediglich Eurer Ehrwürdigen Eminenz gestattet und möglich, diese schrecklichen Erscheinungen zu deuten. Daher flehen wir Sie an, Ehrwürdigste Eminenz, lassen Sie weder uns noch Bruder Antipa bestrafen, sondern lassen Sie das Licht Ihrer Weisheit über diesem entsetzlichen Vorfall leuchten.
    Wir bitten um Ihre heiligen Gebete, verneigen uns tief und verbleiben Ihre unwürdigen und schuldbeladenen Diener
    Hieromonach Ilari
Hieromonach Melchisedek
Bruder Diomid
     
    »Vater Ilari hat ihn geschrieben«, erklärte Antipa respektvoll. »Ein überaus kluger Mann, ein Gelehrter. Wenn er wollte, könnte er Abt sein oder sogar noch höher stehen, doch Stattdessen sucht er sein Seelenheil bei uns und träumt davon, in die Wassilisk-Einsiedelei zu kommen, er steht auf der Liste obenan. Und nun diese Unannehmlichkeiten . . .«
    »Ich kenne Ilari«, nickte Mitrofani, während er die Bittschrift betrachtete. »Ich erinnere mich an ihn. Nicht dumm, aufrichtigen Glaubens, aber übereifrig.«
    Der Bischof nahm das Pincenez ab und musterte den Kurier prüfend.
    »Wieso bist du so abgerissen, mein Sohn? Und warum hast du keine Kopfbedeckung? Du hast doch sicher nicht schon seit Ararat die Pferde so gehetzt? Über das Wasser ist das kaum möglich, es sei denn, du kannst auf dem
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