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Pechstraehne

Pechstraehne

Titel: Pechstraehne
Autoren: Matthias P. Gibert
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Teilen sehr, sehr genießen konnte. Ich hatte einen erfüllenden Beruf, einen großen, unterhaltsamen Bekanntenkreis und konnte viele Winkel der Welt sehen, die vermutlich den meisten anderen Menschen verborgen bleiben werden.

    Als Atheistin verkneife ich es mir, von einem Wiedersehen zu sprechen, jedoch wünsche ich allen, die mir zweifellos folgen werden, dass sie es mit so viel Freude im Herzen tun können wie ich.

    Nach der Unterschrift überflog sie die Zeilen noch einmal, nickte zufrieden, faltete das Blatt und ging damit ins Badezimmer, wo der Wasserstand sich bedrohlich der Oberkante der Wanne genähert hatte. Mit ein paar schnellen Bewegungen schloss sie den Hahn, ließ etwas Wasser ab, atmete erneut tief und zufrieden durch und stellte ihren Abschiedsbrief gut sichtbar auf der Fliesenreihe vor dem Spiegel ab. Danach entkleidete sie sich langsam und betrachtete eine Weile ihren faltigen, jedoch noch immer braun gebrannten Körper im Spiegel.
    Die besten Jahre sind ja nun endgültig vorüber , dachte sie ohne irgendwelche Reue, wandte sich zur Seite und legte einige Tabletten und eine Rasierklinge in das Handtuch auf dem Wäschekorb. Danach füllte sie einen Zahnbecher mit Leitungswasser auf und stellte ihn auf dem Badewannenrand ab. Mit vor der Brust verschränkten Armen sah sie aus dem Fenster, wo die Arbeiter auf der Baustelle gegenüber schon wieder Überstunden machten.
    Eine Minute darauf hatte sie durch das Hinzugeben von kaltem Wasser die perfekte Temperatur in der Badewanne gefunden und ließ ihren Körper langsam in den wohlig duftenden Schaum gleiten.

    Die beiden ASS-Tabletten, die sie zwei Stunden zuvor eingenommen hatte, sollten ihre volle Wirkung bereits erreicht haben, wobei es Martha Zacharias dabei mehr auf die Verdünnung ihres Blutes als den schmerzlindernden Effekt ankam. Nun legte sie sich drei 10-Milligramm-Tabletten des Schlafmittels Zolpidem auf die Zunge, kippte Wasser nach und schluckte. Den gleichen Vorgang wiederholte sie mit drei Tabletten des Schmerzmittels Transtec.
    Es ist unglaublich, was man heutzutage alles aus dem Internet erfahren kann , dachte sie, und exakt im gleichen Augenblick, in dem der Gedanke ihre Hirnwindungen durchlief, wurde ihr Körper von einem Schauer überrollt. Von einem kalten, Angst auslösenden Schauer.
    Nur ruhig bleiben, Martha.
    Sie lehnte sich zurück, schloss die Augen, spürte den weichen Schaum auf ihrer Haut und ließ sich in einen Tagtraum fallen. Einen Tagtraum, den sie schon eine Million mal geträumt hatte, und der sie doch immer wieder ebenso zufrieden wie traurig stimmte.
    In diesem Tagtraum tauchte Günter auf; Günter ohne h, wie er sich beim ersten Aufeinandertreffen in der Schule vorgestellt hatte. Der erste Tag nach den endlos langen Sommerferien, der erste Tag in der Oberstufe und der Tag, an dem sie sich Hals über Kopf unsterblich in Günter verliebt hatte. Er war zwei Klassen über ihr, fuhr ein schwarzes Fahrrad und beeindruckte ebenso mit seinem Körper wie mit seiner charmanten Art.
    Allerdings blieb Marthas Liebe das ganze Schuljahr über unerwidert, was vor allem daran lag, dass sie mit niemandem darüber sprach, vor allem nicht mit Günter. Doch im folgenden Sommer, während der Kirchweih in der fränkischen Kleinstadt, in der sie lebten, funkte es plötzlich auch bei ihm. Sie trafen sich heimlich, meist weit draußen im Wald, wo sie sich wild küssten und er ihr schließlich an einem lauen Spätsommerabend die Unschuld nahm.
    Den technischen Akt hatte sie sich in ihrer Fantasie eigentlich wärmer, weicher und liebevoller vorgestellt, doch dieser kleine Schönheitsfleck wurde von dem alles überstrahlenden Gefühl dominiert, dass sie und Günter nun für alle Zeit miteinander verbunden wären.
    Wie anders sich die Dinge doch manchmal entwickeln. Günter war in den Tagen und Wochen, nachdem er sie am Waldrand abgesetzt hatte, ein völlig anderer Mensch, der sich nicht mehr im Geringsten für sie zu interessieren schien. So oft Martha auch versuchte, ihn zu treffen oder zu besuchen, er war nicht zu Hause oder ließ sich einfach verleugnen. Und als sie sich in ihrer Verzweiflung nachts aus dem Elternhaus geschlichen hatte, um an sein Fenster zu klopfen und ihn zur Rede zu stellen, wurde sie Zeugin, wie er es mit einem anderen Mädchen trieb. Wie er dieses Mädchen in seinem Bett nahm, ebenso roh, wild und ungestüm, wie er es ein paar Wochen zuvor mit ihr getan hatte. In dieser Nacht wollte sie sterben, am besten vor dem Zug
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