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Payback

Titel: Payback
Autoren: Frank Schirrmacher
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Bildschirm, und sie ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was wir gegenwärtig erleben. Nicht, weil die Gedanken verlöschen. Es gibt mehr davon als je zuvor. Sondern weil dieser winzige, unscheinbare Verzögerungsschalter in einer Welt der totalen Gleichzeitigkeit überfordert, durchbrennt wie eine Sicherung.
    »Das ausgebildete Hirn eines Lesers«, sagt Wolf, »hat buchstäblich mehr Zeit zum Denken.« Zeit aber ist es, die die Informationstechnologien mit ihrem »je-schneller-je-mehr-je-besser« uns nimmt. In der unmittelbar bevorstehenden Ära des »Echtzeit-Internets« werden wir sie gar nicht mehr haben.

WARUM DER ARZT NICHT HELFEN KANN
    s ist also schwieriger geworden, ein Buch zu lesen, weil unser Gehirn sich unter dem Druck digitaler Informationsfluten umzubauen beginnt. Millionen von Spezialisten, unzählige Nervenzellen, die die mühsame Technik erlernt haben, sich einarbeiteten, Fehler berichtigten, Sensorien des Sehens, Hörens, Riechens und Schmeckens miteinander vernetzten, neue Straßen in die Gedächtniszentren bauten, um die Kulturtechnik Lektüre möglich zu machen, scheinen in heller Aufregung zu sein. Jedenfalls sind die Veränderungen des Lesens nur ein Anfang.
    Wieso fällt es uns auch zunehmend schwerer, einem Gespräch zu folgen oder eine Nachricht zu ignorieren? Wieso wächst bei der Mehrzahl der Bewohner der westlichen Welt das Gefühl, keine Kontrolle mehr über ihr Leben, ihre Zeit, ihren Alltag zu haben? Was genau geschieht mit unserem Gehirn, unserer Auffassungsgabe, unserer Konzentration? Und wie kann man es schaffen, im Netz und in seinem eigenen Kopf zu Hause zu sein?
    Woher kommt das Gefühl, ständigen Anweisungen unterworfen zu sein? Wieso führt die Effizienzsteigerung zu keinen Verbesserungen? Wieso spürt man immer häufiger, dass der
Be
fehl,
das Schlüsselelement aller Programmiersprachen, direkt auf uns selbst zielt? Wieso haben die Dinge kein Ende mehr, weder Texte noch Informationen, aber auch nicht der Tag und das Jahr?
    Wer vergesslich ist, geht zum Arzt, aber im Fall von Konzentrationsstörungen wäre davon abzuraten. Die Ärzte sind womöglich schlimmer dran als wir.
    Gerd Gigerenzer, Chef des Max-Planck-Institus für Bildungsforschung in Berlin und einer der brillantesten Lehrer des Selbst-Denkens in einem auf Fremd-Denken getrimmten Bildungssystem, hat in einer Studie gezeigt, dass selbst viele Wissenschaftler verlernt haben, die von ihren Computern erstellte Statistiken richtig zu lesen - etwa bei der Auswertung bildgebender Verfahren und bei medizinischen Fundamentalfragen wie der Krebsvorsorge. Zwanzig Prozent Risikominderung durch Brustkrebsvorsorge heißt nicht, wie selbst viele Ärzte glauben, dass zwanzig von hundert Frauen gerettet werden können. Es heißt nur, dass von tausend Frauen, die sich
keinem
Screening unterziehen, fünf sterben, und von tausend Frauen, die eines machen, vier sterben werden. Der Unterschied von vier zu fünf ergibt die zwanzig Prozent. 26
    Natürlich stecken in vielen solcher Statistiken auch Manipulationen der Pharma-Industrie, denn sie eignen sich wunderbar, um die Wirksamkeit von Medikamenten zu übertreiben und mit den Ängsten und Hoffnungen der Patienten zu spielen. Aber das erklärt nicht, wieso sie so lange Zeit niemandem auffielen. Während schon ein falsches Komma in einer Webadresse zur Meldung »Page not found« führt, führt es bei den medizinischen Statistiken zu ganzen Bibliotheken von falschen Heilsversprechen.
    »Es gibt keine einzige Informationsquelle, die korrekte Informationen liefert«, sagt Gigerenzer zu den Brustkrebsstatistiken. 27 Das Gleiche gilt für eine Unzahl anderer medizinischer Statistiken.
    Ausgerechnet das viel gepriesene Multitasking, so berichten Professoren der »Harvard Medical School«, habe dazu geführt, dass immer häufiger Textbausteine von einer Krankenakte in die nächste wanderten, Ärzte und Krankenschwestern übernehmen unter Zeitdruck vollständige Krankengeschichten und die Beschreibung der akuten Krankheit von anderen Patienten mit gleichen Beschwerden und kopieren sie ohne Prüfung in die neue Akte, noch ehe der Patient überhaupt in der Klinik erschienen ist.
    Professoren fanden Diagnosen, die sie für ganz andere Patienten mit ähnlichem Krankheitsbild erstellt hatten, in anderen Krankenakten wortgenau wieder, eine Form des, wie die Harvard-Wissenschaftler schreiben, medizinischen Plagiats, das lebensgefährlich werden kann, weil in der Kette des Multitasking und der sich
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