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Payback

Titel: Payback
Autoren: Frank Schirrmacher
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also, wenn die Kommunikation durch den Computer gesteuert wird, besonders da, wo es ihnen am wichtigsten ist - in der Familie. Die siebzehnjährige Christina Huffington, Tochter der Mitbegründerin der »Huffington-Post« Arianna Huffington, berichtete, dass ihre Mutter immer, selbst während der »Hinabschauender-Hund«-Stellung beim Yoga, den Blackberry benutze: »Ich hatte den Eindruck, dass sie mir niemals zuhört«, so die Tochter, die daraufhin einen Familientherapeuten einschaltete. Woraufhin ihre Mutter ihr einen Blackberry schenkte, damit sie beide besser miteinander kommunizieren konnten. 15

UNSER DENKAPPARAT VERWANDELT SICH
    ir brauchen kein Tipp-Ex mehr, und die 10 Meter Bücher, die statistisch jeder einzelne Mensch der Welt pro Jahr an gespeicherten Daten produziert, benötigen keinen Regalplatz. Worüber beschweren wir uns also? Information ist kostenlos. Wir sollten uns freuen. Sie kann unendlich oft kopiert und verbreitet werden, und auch das kostet nichts. Aber dass Information gratis ist, heißt nicht, dass wir keinen hohen Preis für sie bezahlen. Information kostet Aufmerksamkeit, wie der Nobelpreisträger Herbert Simon schon 1972 feststellte, und eine Flut an Informationen kann buchstäblich zu einer Armutswelle an Aufmerksamkeit führen. 16
    Durch die Vielzahl der neuen Medien und durch die Fülle an Informationen, die sie digital versenden, hat bei vielen von uns erstaunlicherweise ein Umbau des Denk- und Erinnerungsapparats eingesetzt. Hirnforscher haben gezeigt, dass sich die neuronalen Verschaltungen in unserem Gehirn verändern, ohne genau sagen zu können, ob noch die Glühbirne am Ende des Stromkreises angeht oder schon die Müllpresse. 17 Die neue Architektur verändert auch das Ich, das in ihr wohnt - in einem Tempo, das Evolutionsforscher, milde ausgedrückt, in Erstaunen versetzt. Etliche Hinweise sprechen dafür, dass sich auch unsere geistige Architektur zu verändern beginnt. Es ist eine Verwandlung, wie die von Kafkas Held Gregor Samsa, der eines Morgens erwacht und feststellen muss, dass er über Nacht ein Käfer geworden ist.
    Und wenn Sie jetzt meinen, dass das ein abgedroschenes Bild ist, werden Sie später erfahren, dass dieses Bild genau beschreibt, was passiert. Es ist tatsächlich wie bei Kafka: Hinter unserer Verwandlung stecken keine bösen Mächte, niemand sitzt bei Google oder im Silicon Valley, um den Menschen das Denken, Lesen und das Erinnern abzugewöhnen. Im Gegenteil: Es waren die Protagonisten der neuen Technologien, allen voran der Computer-Pionier Joseph Weizenbaum, die als Erste vor dem kognitiven Wandel gewarnt haben, mit dem wir es nunmehr zu tun haben.
    Viele von uns registrieren zwar eine Veränderung ihres Denkapparats, aber das scheint sie bisher nicht besonders zu beunruhigen. Irgendwo, so meinen wir, steht schon ein Rechner, der aufzeichnet, was wir vergessen haben, uns daran erinnert, was wir zu tun haben, und uns alarmiert, wenn wir einen Fehler gemacht haben.
    Das ist, mit einem Lieblingswort der Epoche, ein »systemischer Irrtum«. In seinem Zellkern steckt das, worum es in diesem Buch vor allem geht: unser Wahn, aus Angst vor Kontrollverlust die Welt in Formeln, Systematiken und Algorithmen, kurzum in Mathematik zu verwandeln. Wir werden immer unfähiger, mit Unsicherheiten und Unwahrscheinlichkeiten umzugehen, und sei es mit der Unsicherheit, welche Information sich hinter der SMS verbirgt, die gerade aufgeleuchtet ist. Wir sind in ständiger Alarmbereitschaft.
    Ein Alarm, der dauernd angeht, ist keine Information, sondern eine Ruhestörung.
    Als man noch Briefe bekam, konnte man sie zur Not nach Tagen beantworten, manchmal gingen sie auch hilfreicherweise verloren. Mittlerweile aber versteckt sich hinter fast jedem akustischen Informationssignal in unserem Alltag ein tatsächlicher, uns jederzeit umgebender menschlicher Kontakt und er zeugt einen Sozialstress, wie man ihn vorher nur von beleidigten Tanten und Onkeln kannte, für deren Ansichtskarte vom Bodensee man sich nicht bedankt hatte. Jeder weiß, dass E-Mails, auf die man nicht innerhalb von 48 Stunden reagiert hat , niemals beantwortet werden. Selbst wenn man sich entschließt, den Alarm zu ignorieren, ist die Galgenfrist nur kurz, bei SMS beträgt sie wenige Stunden, bei »Instant Messaging Services« Minuten. Die Ingenieure dieser Signale aber haben verstanden und basteln bereits an einer Lösung. »Kein Problem«, sagt Mary Czerwinski, die Arbeitsplatzbeauftragte von Microsoft,
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