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Payback

Titel: Payback
Autoren: Frank Schirrmacher
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stets erneut kopierenden Kopien niemand mehr eigene Schlüsse zieht oder vorhandene Diagnosen auch nur überprüft. Es ist eine Kommunikation, in der Absender und Empfänger Maschinen sind.
    Der Chefarzt einer Herzklinik in Kansas berichtet in der gleichen Studie, dass er mittlerweile gezwungen ist, jeden Tag die wirklich wichtigen Entwicklungen seiner Patienten vom Computer auf Karteikarten umzuschreiben, um sich die Abweichungen überhaupt bewusst machen zu können. Denn weil sich in den elektronischen Krankenberichten bedeutungslose Aussagen durch endloses
copy and paste
ewig wiederholen, entsteht bei den behandelnden Ärzten ein Aufmerksamkeitsdefizit. Sie denken über die Diagnose nicht mehr nach, sondern kopieren sie auch mental. Es ist wie bei »Wo ist die Maus?«, sagt die Studie nach ausgiebiger Befragung der Ärzte: Die Computerakte wird zum Wimmelbild, in der man die wichtigen Informationen mit großer Mühe suchen muss.
    Die Autoren der Studie im renommierten »New England Journal of Medicine« sehen sich sogar dazu veranlasst zu betonen, dass sie keine Verrückten sind, die aus Prinzip gegen den Computer opponieren. Umso wirkungsvoller, was sie mit Blick auf den Computergebrauch feststellen: »Kommentare und Diagnosen, die konzentriert und trennscharf sein sollten, werden aufgebläht und schablonenhaft und führen dazu, dass sich die Aufmerksamkeit von der eigentlichen geistigen Aufgabe vollständig verabschiedet.Wir müssen es schaffen, dass die Technologie für uns arbeitet, statt dass wir für sie arbeiten.« 28
    Dieses mathematische und diagnostische Analphabetentum selbst bei Experten und zudem in einem Zeitalter, wo die gesamte Kommunikation auf den statistischen Verfahren von Computern beruht, ist vielleicht noch nicht einmal Zeichen einer Rückwärtsentwicklung. Die Fähigkeit, Statistiken zu lesen, bemerken die Autoren der letztgenannten Studie, war nie besonders entwickelt. Es ist eher eine Seitwärtsentwicklung: Wir sammeln heute unendliche Informationen. Aber sie führen uns nirgendwo mehr hin.

DER DIGITALE TAYLORISMUS
    alsche Informationen und Diagnosen vererben sich also selbst in so entscheidenden Dokumenten wie Krankenakten wie eine Mutation bei einer fehlerhaften DNA von einem Dokument zum nächsten, ohne dass sie bemerkt werden, weil kein menschliches Hirn die ewigen Ketten der Kopien prüft. Und selbst wenn es sie prüft, die Fehler womöglich gar nicht mehr erkennt.
    Das zeigte sich bereits 2005 auf eher komische Weise, als eine Gruppe von Studenten den von ihnen sogenannten SCIgen-Forschungsgenerator programmierte. Die Software ist in der Lage, beliebige, angeblich computerwissenschaftliche Texte selbstständig zu generieren. Natürlich sind es letztlich völlig sinnlose Aufsätze, die mit einer Vielzahl mathematischer Formeln und durch ihren Gebrauch wissenschaftlicher Begriffe allerdings logisch und irgendwie plausibel klingen. Jedenfalls wurden mehrere dieser Nonsens-Texte von wissenschaftlichen Zeitschriften zur Veröffentlichung angenommen und auf Kongressen vorgetragen. 29
    Die neuen Technologien verfügen über Möglichkeiten kollektiver, von Menschen ausgeführter Korrekturen, und Wikipedia ist dafür in vielen Fällen ein glänzendes Beispiel. Aber diese Möglichkeit der Korrektur ist auch der Grund, warum Menschen sich immer häufiger damit beruhigen, dass jedem Fehler sofort widersprochen wird. Aber nicht nur sind Krankenakten kein Wikipedia-Eintrag, sondern schon bei den fundamentalsten Textkorrekturen produziert das Vertrauen in die Computer erstaunliche Fehler. Journalisten wissen, dass in vielen Zeitungen versucht wurde, die Artikel vollständig von Maschinen korrigieren zu lassen. Es gibt zwei häufige Arten von Wortfehlern. Bei der einen Art entsteht ein Wort, das nicht existiert, Sanne statt Sonne, Mont statt Mond. Menschen können solche Fehler mit neunzigprozentiger Zuverlässigkeit erkennen, Computer sind zu hundert Prozent zuverlässig. Anders sieht es bei Wortfehlern aus, die wirklich etwas bedeuten: Sahne statt Sonne oder Mund statt Mond. Solche Fehler werden, wie Ray Panko von der Universität Hawaii errechnet hat, von Menschen zu 75 Prozent erkannt, von Maschinen überhaupt nicht.
    Das heißt, so Panko, »Korrekturprogramme finden genau die Fehler nicht, die auch Menschen nur mühsam finden«. 30 Bei sinnlosen Sätzen, in denen der Mund auf- und die Sahne untergeht, wird selbst in der gedankenlos kopierten Information die Wahrscheinlichkeit sehr groß sein,
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