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Pausensnack

Pausensnack

Titel: Pausensnack
Autoren: Kirsty McKay
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dann? Ihn irgendwie beruhigen? Mit ihm in den Händen nach draußen laufen? Ihm vor den Vorstandsmitgliedern seinen winzigen Hals umdrehen?
    Während ich noch abwäge, flattert er jämmerlich zum Käfigboden hinunter, fällt auf die Seite, sieht mit einem Kullerauge zu mir hoch, den Schnabel weit aufgerissen. Ich kauere mich neben ihn. Und dann stirbt er. Es ist deutlich zu sehen, wie das Licht ausgeht, ganz langsam erlischt, gradweise. Ich bin wie gebannt. Ich kann ein Aufkeuchen nicht verhindern.
    Dann fallen mit einem Mal die anderen Vögel von ihren Stangen, schlagen unten mit leisen dumpfen Geräuschen auf. Tot.
    Ich sehe hoch und ignoriere total Sonjas Anweisung, zu niemandem im Raum Blickkontakt herzustellen. Die Vorstandsmitglieder sehen zu mir herunter. Vorwurfsvoll fast. Nur mein Vater sieht mich nicht an. Sein Blick ruht auf den Vögeln und diesen Gesichtsausdruck kenne ich überhaupt nicht von ihm. Er sieht ängstlich aus.
    Mir wird ein Geräusch bewusst, ein leichtes Zischen, als ob Luft aus einem Schlauch entweicht.
    »Lucy, raus hier!« Mein Vater springt auf, streckt mir seine Hand entgegen.
    O Dad, du hast das Protokoll verletzt. Ich schäme mich ein wenig für ihn, wie er da steht, immer noch die Hand ausstreckt, und die Adern auf seiner Stirn hervortreten.
    Und dann spüre ich es. Mein Hals ist ganz eng und irgendetwas rieselt mir warm den Rachen hinunter, in den Mund, in meine Kehle, meine Lunge. So als ob Dads Hand mich würgen würde, bloß ist sie in Wirklichkeit weit weg. Irgendein Gas? Als ich Luft hole, ist es, als würde ich Feuer inhalieren, das Brennen setzt sich bis in die Gehörgänge fort, ein Druck kriecht mir die Arme hinunter, die Augen tränen, der Magen krampft. Ich sehe meinen Vater an, suche in seinem Gesicht nach einer Antwort. Er schaut mich tieftraurig an. Ich will aufstehen, breche aber in die Knie; meine Beine lösen sich auf, ich kann sie nicht spüren.
    Auch am Tisch sacken zwei, drei, vier Leute zu Boden. Ich merke, wie sich jemand zur Tür bewegt, und dann ist mein Vater bei mir und zerrt an mir, während mich das Brennen in meinem Körper gleichzeitig hinunter ins Nichts zieht. Ich schnappe nach Luft, nach Sauerstoff, reiße den Mund so weit auf, wie ich kann, atme ein, ein. Aber das ist keine gute Luft und alles um mich herum dreht sich, der Boden zieht mich runter, bis ich daliege und mein Herz brutal klopft.
    Neben mir liegt mein Vater.
    »Tut mir leid, Lucy«, sagt er rau. Er greift in eine Tasche und zieht etwas Kleines und Schwarzes heraus. »Nimm … das hier.«
    Nur kann ich nicht erkennen, was er mir geben will, und selbst wenn ich das könnte, meine Hand lässt sich nicht dazu bewegen, es zu nehmen.
    Dann das Geräusch einer Tür, die sich schließt und wieder aufgeht, und alle Wände rucken vom Rand meines Blickfelds nach innen, bis nur noch ein winziges Fenster Licht bleibt, dann eine Nadelspitze. Ich spüre, wie ich über den Rand des Raumes hinausgleite; für einen Moment halte ich den Atem an und klammere mich fest.
    Nun kriegt meine Schwester ihre Schuhe nie wieder zurück.
    Ich lasse los.
    Und dann bin ich wieder da. Ganz plötzlich. Der Schmerz in meiner Kehle ist grell, meine Augen laufen über, mir platzt die Lunge. Da ist eine Hand über meinem Mund; ich trete um mich, winde mich, versuche die Hand da wegzubekommen, schnappe nach Luft.
    Und dann kommt Luft. Kalte, frische, gute Luft. Ich sauge sie ein, blinzele.
    Keine Hand auf meinem Gesicht. Eine Gasmaske. Heiß, eng, aus Kunststoff. Ich nehme noch ein paar Atemzüge, dann setze ich mich auf.
    Jemand hat mich gerettet.
    Überall in Konferenzraum 1 liegen Tote. Das Licht ist noch weiter heruntergedimmt worden, nichts ist zu hören. Ich krieche zu meinem Vater; ich brauche nicht seinen Puls zu überprüfen, um zu wissen, dass er tot ist, das Gesicht schmerzverzerrt, die Augen – Gott sei Dank – geschlossen.
    Wieder ist meine Kehle wie zugeschnürt, aber diesmal von einem Weinen.
    Bloß keine Gefühle jetzt. Bloß weg hier.
    Ich greife nach seinen ausgestreckten Fingern, die bereits steif und wächsern werden. Das Ding, das er mir geben wollte. Der kleine schwarze Kasten. Ein externes Laufwerk? Geheimnisse und Lügen. In seiner anderen Hand sind Schlüssel und ein Sicherheitsausweis. Ich stecke sie ein, durchsuche seine Kleidung wie die miese Diebin, die ich bin, finde eine Brieftasche und ziehe mich am Tisch hoch. Sonja hat gesagt, ich darf nichts mit aus dem Raum nehmen, aber Sonja ist nicht
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