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Pausen tun uns gar nicht gut

Pausen tun uns gar nicht gut

Titel: Pausen tun uns gar nicht gut
Autoren: Bennecke,Jürgen
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Stück bis Vilaserio. Am Ortseingang
befindet sich eine Bar, der Abend scheint, zumindest was das Essen betrifft,
gerettet. Aber erst einmal suchen wir die Herberge des Ortes auf und erleben
die speziellste Form der Unterbringung auf dem Jakobsweg.
    Es handelt sich um eine alte
Dorfschule, die anscheinend ihres Unterrichtsmobiliars beraubt wurde. Nur eine
alte verrostete Schaukel auf dem eingezäunten Gelände lässt ehemaliges
Kindergeschrei in Erinnerung rufen.
     

     
    Ausgestattet mit zwei Duschen,
deren Abflüsse dem anfallenden Wasser nicht angemessen sind, läuft uns das Nass
schon im Flur entgegen. Wir können, da erst wenige Pilger anwesend sind, noch
aussuchen, in welchem Raum wir schlafen.
     

     
    Also erstmal alltägliches
Programm, das heißt duschen und Wäsche waschen. Als Schlafunterlage dienen
Turnmatratzen, die im Laufe der Zeit zu Streitobjekten werden. Nach uns
angereiste Pilger zählen unsere Rucksäcke und beschweren sich, dass wir vier
Matratzen benötigen. Da ich zwei davon für Angelika und Wolfgang zurückhalte,
ist ihr Unmut darüber natürlich berechtigt. Ich bin heilfroh, als die beiden
kurze Zeit später eintreffen, denn länger wäre meine Verteidigungsstrategie
nicht zu halten gewesen.
    Mit einem weiteren Pilger,
nämlich Hubert, einem Volksbankangestellten aus der Nähe von Paderborn ,
machen wir uns auf den Weg zur Bar. Dort lernen wir Rika, eine Regisseurin aus Kassel kennen. Sie strotzt nur so vor Selbstbewusstsein, hat eine interessante
Lebenseinstellung und bereichert damit unseren Abend. Noch immer trudeln Pilger
in Vilaserio ein, die Herberge droht aus allen Nähten zu platzen.
Einige von ihnen kehren mit Rucksack zur Bar zurück und sind über den Zustand
der Herberge entsetzt. Sie sind sich sicher, den Geruch von Urin wahr genommen
zu haben und bezeichnen Pilger, die dort unterkriechen, als völlig Runtergekommene.
Sie überreden den Besitzer der Bar, in seiner Autogarage ein Plätzchen für sie
freizumachen, und nehmen dafür den Benzingestank in Kauf.
    Erst spät gehen wir
„Runtergekommenen“ in unser Nachtquartier. Angestimmt von Wolfgang mit dem Lied
„Oh du schöner Westerwald“ marschieren wir auf der Straße bis zur Herberge und
haben dabei Riesenspaß. Wir lachen ohne Ende, ein Abend, der im Rückblick auf
den Jakobsweg zu den lustigsten gehören wird, geht fast zu Ende. Aber nur fast,
denn Heidi stellt fest, dass ihr Fuß verdächtig zwickt. Wir schlüpfen in unsere
Schlafsäcke mit der Drohung: „Habe ich morgen früh eine Blase, dann haue ich
Ecki und dir für eure heutige Rücksichtslosigkeit eins in die Schnauze.“ Na
dann gute Nacht.
     
     
     
    22.06.2009

Vilaserio — Corcubión 44 km
     
    Harte Matratzen haben die Nacht
nicht enden lassen. Gegen 5:30 Uhr stehen wir auf und packen unseren Rucksack.
Vorher entdeckt Heidi am Fuß die schon vorhergesagte Blase. Ecki, der die
Androhung des gestrigen Abends nicht vergessen hat, macht sich fluchtartig aus
dem Staub. Mir fällt Goethes Faust ein „Da steh ich nun, ich armer Thor...“ und
leicht abgeändert „...die Scheiße steht mir bis zum Ohr“. Wir haben heute 44 km
vor uns, Heidis rechter Fuß ist noch immer geschwollen und nun auch noch eine
Blase an ihrem kleinen Zeh. Sie wirkt etwas verzweifelt und scheint ein wenig
wütend auf mich zu sein. An so einem Morgen wünscht man sich den Abend
sehnsüchtig herbei. Es ist noch dunkel, der Weg verlangt unsere ganze
Aufmerksamkeit. Als wir den nächsten Waldweg verlassen, erkenne ich Ecki im
aufgehenden Sonnenlicht, weit vor uns. Er geht gemeinsam mit einem der Pilger,
die einen Schlafplatz in der Garage bevorzugt haben. Als wir nach einer Weile
zu ihnen aufschließen und mit Eckis neuer Bekanntschaft ins Gespräch kommen,
erzählt dieser, dass er seit 2002 den Camino jährlich pilgert und sich dabei
immer so prächtig erholt. Die Erholung werdet ihr spüren, wenn euch der Alltag
längst wieder in seiner Mangel hat, fügt er hinzu. Er wandert immer zu dieser
Jahreszeit, weil es im Sommer zu heiß und im Herbst wegen der langen
Trockenheit nichts Grünes zu sehen gibt. Außerdem ist morgen ein Feiertag, man
feiert hier ausgiebig die Sommersonnenwende.
    Wir gehen ein Stück an einer
Landstraße entlang und entdecken eine kleine Bar, die uns vier zum Frühstück
einlädt. Wenig später sind wir wieder mit Ecki unterwegs, der sich vor Heidis
Gewaltausbrüchen sicher wiegt und nichts mehr zu befürchten glaubt. Wir staunen
über das hohe Tempo meiner Frau.
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