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Pausen tun uns gar nicht gut

Pausen tun uns gar nicht gut

Titel: Pausen tun uns gar nicht gut
Autoren: Bennecke,Jürgen
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Santiago erreicht. Wir
sind beeindruckt von seiner Gelassenheit, seiner Ruhe und Zuversicht. Er hat
zwar sechs Tage später als wir Santiago erreicht, ist aber gesund
und glücklich eingetroffen. Nach einem Gespräch, bei dem es bayrische Witze
hagelt, müssen wir Abschied nehmen. Wir werfen unsere Rucksäcke über die
Schultern und machen uns auf die Suche nach dem Busbahnhof. Dort treffen wir
auf Hubert. Auch er fliegt heute nach Hause. Gemeinsam verbringen wir die
Wartezeit auf dem Flughafen. Heidi strolcht wie gewohnt durch Geschäfte im
Flughafengebäude, nebenbei kauft sie sich einen Ring, was ich aber erst viel
später erfahren werde.
    Ich quatsche währenddessen mit
einigen herumsitzenden Leuten. Dabei lerne ich einen 86jährigen pensionierten
Oberstudienrat aus Hannover kennen. Er ist der älteste Pilger,
der mir begegnete. Die Ruhe dieser Gespräche wird jäh unterbrochen, denn ich
bemerke beim Einchecken ins Flugzeug mit Entsetzen, das meine Kamera und mein
Handy verschwunden sind. Hals über Kopf hetzen wir durchs Flughafengebäude und
müssen noch einmal zur Kontrolle, denn nur dort kann das Gesuchte sein. Richtig
gedacht. Freundliche Sicherheitskräfte haben es gefunden und aufbewahrt. Sie
sorgen dafür, das wir ohne Kontrolle durch den Check-in Schalter kommen. Völlig
außer Puste fallen wir als Letzte in unsere Sitzplätze. Wir sind uns treu
geblieben bis zum Schluss, alles muss spannend und aufregend sein.
    Aber jetzt sitzen wir, und das
Flugzeug hebt ab. Nur ein kurzer Umstieg auf der Ferieninsel Mallorca und eine
Stunde später fliegen wir über Deutschland. Kurz vor der Landung in Hannover erwähnt Heidi noch einmal die Worte eines älteren Pilgers. „Nur wer
sich verlaufen, etwas verloren hat und wenigstens einmal auf dem Jakobsweg
geweint hat, ist ein wahrer Pilger“. Nun, fragt sie mich, ist alles bei dir
eingetroffen? „Nein“ antworte ich ehrlich, geweint habe ich nie.
    Heidi dagegen hat wohl eine
ganze Badewanne mit Tränen gefüllt, aus Verzweiflung, aus Wut über die eigene
Schwäche, aus Mitgefühl gegenüber Tieren am Wegesrand und vor Glück und Stolz,
als sie am Ziel war.
    Schließlich erreichen wir Hannover
Langenhagen. Unsere Tochter Helen und ihr Freund Markus erwarten uns
dort.
    Heidi hat ein Gespür für ihre
Kinder, wenn diese Kummer mit sich tragen und wenn es ganz dick kommt, manchmal
sogar ich. Wir kommen überschäumend vor Erlebnissen bei den Beiden an und
sofort ist uns klar, das irgend etwas passiert sein müsste. Helen druckst herum
und versucht abzulenken. Als ich hartnäckig nachfrage, schaut sie mich mit
feuchten Augen an und sagt: „Es ist für mich unerträglich, das ausgerechnet ich
dir das sagen muss... dein Freund Eckhard hat sich vor zwei Tagen das Leben
genommen“. Ungläubig höre ich diese Worte und kann den Rucksack nicht mehr
halten, alle Wiedersehensfreude ist auf einen Schlag verflogen. Ich muss mich
setzen und sehe ihn direkt vor mir. Ich wusste, dass Eckhard an Depressionen
litt, was diese Krankheit wirklich bedeutet, wusste ich nicht. Mir schießen
Schuldgefühle durch den Bauch. Sicher habe ich seine Worte nicht aufmerksam
genug verfolgt. Hab gehofft, dieses Leiden geht wieder so plötzlich, wie es
gekommen ist.
    Wie in Trance fahre ich auf dem
Rücksitz unseres Autos nach Hause. In dieser Nacht kann ich nicht schlafen, so
viele Bilder erinnern mich an unsere Freundschaft. Ich bin nicht enttäuscht,
dass er mir nicht mehr Vertrauen schenkte, auch nicht böse dass er sich nicht
von mir verabschiedet hat. Ich bin dankbar, dass er mich 27 Jahre lang einen
Freund nannte.
    Obwohl es mir schwerfällt zu
begreifen, dass alles so endgültig ist, weiß ich diese Entscheidung zu
akzeptieren. Möge seine Seele zu den Sternen reisen und ihm den Frieden
schenken, den er sich nicht geben konnte.
    Tage später werde ich mich an
die Voraussetzungen eines wahren Pilgers erinnern. Sei es nun ein tragischer
Zufall oder bittere Fügung: Ich habe mich verlaufen, habe etwas verloren und
habe am letzten Pilgertag geweint.
     
     
    ENDE
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