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Pausen tun uns gar nicht gut

Pausen tun uns gar nicht gut

Titel: Pausen tun uns gar nicht gut
Autoren: Bennecke,Jürgen
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Büste des Heiligen stehe und erwartungsvoll meine Stirn
auflege, passiert nichts, außer dass die Leute hinter mir ungeduldig werden.
    Die Kathedrale ist mittlerweile
menschenüberflutet, zwischen den fremden Gesichtern tauchen immer mehr Bekannte
auf. Die Italiener sind hier, Angelika und Wolfgang sowieso, Rudi nebst Bruder
und Schwägerin, die uns sofort vorgestellt werden, sind auch da. Ecki taucht
auf, von dem wir annahmen, dass er schon lange aufgegeben hat. Wir nehmen
einander in die Arme und gratulieren uns gegenseitig zum Erreichen dieses
Höhepunktes unserer Pilgerreise. Ich sehe Tränen, die vor Rührung über die
Wangen laufen und bin von der Atmosphäre überwältigt. Und jetzt, so erzählt uns
Ecki, haben wir alle das Glück, den schwingenden Weihrauchkessel, den
Botafumeiro, zu sehen. Eine Tradition, die nur an besonderen Feiertagen
stattfindet, aber eben auch heute und wir stellen wieder einmal fest, das sich
alles gefunden hat. Wir sind zum richtigen Zeitpunkt angekommen, und die
Anstrengungen der vergangenen Tage und Wochen sind vergessen. Der Gottesdienst
beginnt. Mehrere Priester halten in verschiedenen Sprachen die Predigt und eine
Nonne durchflutet mit einer engelsgleichen Stimme das Gemäuer. Was für ein
erhebendes Gefühl, als die braun bekutteten Tiraboleiros das dicke Tau des
Botafumeiro von der Säule lösen. Der 80 Kilogramm schwere Weihrauchwerfer hängt
einen Meter über dem Boden und wird nur kurz angestoßen. Sofort ziehen die
Tiraboleiros das Tau an, beschleunigen ihn mit einer besonderen Schwingtechnik,
so dass der Kessel mit einer Geschwindigkeit von fast 70 Stundenkilometern bis
unter das zwanzig Meter hohe Gewölbe der beiden Seitenschiffe saust und eine
Qualmsäule hinterlässt. So pendelt der Botafumeiro seit dem 16. Jahrhundert,
einst zur Desinfektion, später als Symbol für die aufsteigende Seele. Diese
jubelt wohl tatsächlich in diesen Minuten, so glücklich sehen alle Menschen
aus.
     

     
     
    Am Nachmittag streichen wir
durch die Altstadt, sitzen vor Cafés, stromern durch Geschäfte und treffen eine
Vielzahl von Mitpilgern, denen wir irgendwann einmal begegnet sind. Wir reden
einen Moment mit ihnen und schlendern geruhsam weiter.
    Wir beobachten
Hochzeitsgesellschaften und amüsieren uns über die Garderobe der Gäste, die in
der Sonne auf das Brautpaar warten. In vertrauter Gesellschaft von Angelika und
Wolfgang lassen wir den Tag in einer urigen Kneipe ausklingen und finden erst
spät ins Bett.
     

     
     
     
    21.06.2009

Santiago
de Compostela — Vilaserio 37 km
     
    Es ist angenehm, wieder auf dem
Weg zu sein. Die Unruhe der Stadt, die vielen Leute scheinen uns zu erschlagen. Santiago bald hinter uns lassend, erhaschen wir noch einen
traumhaften Blick auf die Stadt. Diese Sicht auf die Kathedrale hätten wir uns
bei unserer Ankunft vor zwei Tagen gewünscht.

    Die Sonne geht auf, und es ist
eine erstaunliche Stille um uns herum. Nur wenige Pilger sind unterwegs in
Richtung Kap Finisterre, und die Wegweiser sind mal wieder alles
andere als wegweisend. Es dauert auch nicht lange, bis wir ungewollt den
rechten Pfad verlassen und ratlos nach gelben Pfeilen oder Muscheln Ausschau
halten. Es hilft alles nichts, wir müssen zurück bis zur letzten Markierung und
plötzlich steht Ecki vor uns. Er blättert kopfschüttelnd in seinem Reiseführer,
und man merkt ihm an, wie froh er ist, dass es auch noch anderen so geht wie
ihm.
    So beschließen wir, uns
zusammen zutun und nehmen wenig später ein kleines Frühstück auf einer
Cafeterrasse direkt am Pilgerweg in Aguapesada ein. Nach der
Stärkung geht es auf einem Schotterweg steil bergauf an einer auffälligen Funkanlage
vorbei. Mit Ecki, der ebenfalls schon mehrere Marathonläufe absolviert hat,
entwickelt sich ein interessantes Gespräch. Dass Heidi bald Schwierigkeiten
hat, uns zu folgen, merke ich anfangs kaum. Alle fünf bis sechs Kilometer
warten wir auf sie.
    Wenn sie zu uns aufgeschlossen
hat, ziehen wir mit nicht endenwollendem Gesprächsstoff weiter.
     

     
    Irgendwann am späten Nachmittag
bekomme ich die Rechnung. Heidis Hals ist inzwischen so dick, das man annehmen
könnte, sie hätte was mit der Schilddrüse. Da macht sie uns den Vorschlag, den
Rest der Strecke getrennt zu laufen, damit wir ihretwegen nicht ständig
pausieren müssen. Ecki hält sich dezent zurück, und ich habe meine liebe Mühe,
Heidi von derartigen Gedanken zu befreien. So schaffen wir doch noch friedlich
und gemeinsam das letzte
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