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Pauschaltourist

Pauschaltourist

Titel: Pauschaltourist
Autoren: T Liehr
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wurde nie in Sitz’ Magazin veröffentlicht, dafür publizierten wir ihn im Internet, fast parallel
     zum letzten offiziellen Text, dem über Portugal. Nina residierte zu diesem Zeitpunkt bereits an den Wochenenden in Michael
     Bautschiks Strandhaus auf Sylt. Die beiden näherten sich vorsichtig an, und meinem letzten Telefonat mit Frau Blume zufolge
     stünde der erste Sex unmittelbar bevor, wäre aber nicht so irrsinnig wichtig. Ich tat so, als würde ich ihr das glauben. Ihren
     Arbeitsplatz hatte sie behalten: »Jetzt erst recht.« In der Redaktion herrschte angespannte Stimmung, seit die kleinen Seitensprünge
     von Heino und Marejke die Boulevardpresse beschäftigten. Keine Ahnung, wer da Tipps gegeben hatte. Ehrlich nicht.
    Ich lehnte die beiden Jobangebote ab und blieb vorerst in Hurghada. Am Tag nach dem Restaurant-Eklat war ich in ein etwas
     besseres Hotel umgezogen, wo ich meine Pauschaltouristenprämie aufbrauchte und sogar richtig schlafen konnte. Ich stromerte
     durch die Stadt, schnorchelte auf Ninas Verschwimmen-Pfaden und fühlte mich derweil befreit und eingezwängt zugleich. Selbstverständlich
     würde ich dieses Land alsbald wieder verlassen, aber in welche Richtung, das konnte ich nicht entscheiden. Ich traf und sprach
     viele Touristen, besuchte mehr Hotels, als ich während der Wochen zuvor gesehen hatte, lungerte auf Märkten herum, auf denen
     Europäer Mangelware waren, steckte Bettlern Pfundnoten zu und vermisste Nina. Viel mehr als Deutschland, Silke, Steini, die
     beiden neurotischen Kater, Frau Dr. Jüterborger und die Nächte bei Lisa zusammen. Aber ihre Abschiedsworte lagen mir schwer
     im Magen: »Vergiss nicht, dass wir ohne diesen Scheiß nie Freunde geworden wären. Nicht, dass ich es als unangenehm empfinden |327| würde. Aber auch das war letztlich nur ein Ergebnis dessen, was wir an anderen beobachtet haben: Man ist ganz schön neben
     sich, wenn man im Urlaub ist. Ich mag dich, Nikolas, aber auch das wird irgendwann eine Urlaubserinnerung werden.«
    Wurde es nicht. Tatsächlich telefonierten wir fast täglich miteinander, manchmal stundenlang, und nicht selten war es Nina,
     die anrief. Als Michael Bautschik wieder einen Hurghada-Flug mit Zwischenstopp hatte, gegen Ende meiner Verweilzeit, begleitete
     sie ihn
freiwillig
. Wir umarmten uns ewig und heulten dabei vor Rührung – ich nicht zuletzt, weil sie mir eine Großhandelspackung After Eight
     mitgebracht hatte. Meine Begleitung, eine schwarzhaarige, achtundzwanzig Jahre alte Buchhändlerin aus Troisdorf namens Sybille,
     die ich in einer Bar kennengelernt hatte und mit der ich seit ein paar Tagen viel Zeit verbrachte, stand daneben und runzelte
     die Stirn. Das war mir egal. Wir taperten Hand in Hand aus dem Flughafengebäude; Michael Bautschik und meine Urlaubsbekanntschaft
     schlurften hinterher, als wären sie unsere Kofferträger.
    Aber auch das ging vorbei. Sybille flog nach Hause, und ich war sicher, sie nicht mehr wiederzusehen. Nina und ihr neuer Freund
     flogen nach Hause, und ich wollte sie wiedersehen, bald schon und möglichst oft. Aber ich hatte keine Ahnung, wie es weitergehen
     sollte, bis Oliver von Papening anrief, mir erzählte, dass er von meiner Kündigung gehört hatte und mir einen Job anbot. Für
     seine weltweiten Charity-Projekte benötigte er jemanden, der die Pressekontakte pflegte, die Fortschritte dokumentierte und
     ihm gegenüber Bericht erstattete. Das würde mich in Krisengebiete führen, aber auch in die Nähe von Urlaubsregionen. Ich akzeptierte
     und machte mich auf den Heimweg.
    Im Flugzeug klappte ich meinen Laptop auf und begann damit, die Artikelnotizen durchzusehen, sie zusammenzufassen und in eine
     persönlichere Anordnung zu bringen, wodurch ziemlich fix eine Art Reisetagebuch entstand. Dann überlegte ich, wie alles |328| begonnen hatte, dachte an den Empfang bei Sitz und mein Erlebnis mit Marejke Medsger. Der nächste Schritt, die Idee lag nahe.
     Warum nicht? Ein Roman wäre eigentlich auch nur eine Reportage, etwas persönlicher, sehr viel länger, mit fiktiven Elementen
     durchsetzt und die Figuren etwas verschleiernd. Ich bestellte noch etwas von der Brühe, die als Kaffee verkauft wurde und
     nach Fuchspusche schmeckte, sah aus dem Fenster auf die Wolken, den kugelschreiberblauen Himmel und die vereinzelt auftauchenden
     Fetzen Mittelmeer. Mein Herz klopfte stark. Und dann tippte ich den Titel in die Kopfzeile eines neuen Dokuments:
     
    Pauschaltourist

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