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Pauschaltourist

Pauschaltourist

Titel: Pauschaltourist
Autoren: T Liehr
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lief dabei virtueller
     Sabber aus den Mäulern, und nicht wenige der weiblichen kämpften mit ihren Gesichtszügen. Sitz’ Ehefrau überstrahlte sie alle.
    Champagner floss über meine Hände, nicht der erste heute Abend, und sicher nicht der letzte. Meine Haut roch schon süßsäuerlich.
     Dieses Gesöff hatte meine vollständige und ganzheitliche Verachtung. Wie so manch andere überteuerte Delikatesse schmeckte
     es, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht wirklich, und es wurde nur deshalb konsumiert, weil es teuer war. Besser als ein
     frisch gezapftes, wohltemperiertes Fassbier war es nie und nimmer.
     
    Eine Stunde später hatte ich den Bogen mit den Schaumweinflaschen raus, und ich schaffte es inzwischen, die Gläser gleich
     im ersten Anlauf so zu füllen, dass ich keinen zweiten benötigte. Die Arbeit nahm mich so sehr in Anspruch, dass ich die wachsende
     Menschenmenge um mich herum fast vergaß. Und selbst Leitmann, der mich im Fünf-Minuten-Rhythmus mit so sinnträchtigen Sprüchen
     wie »Eine Party beginnt für mich schon bei der Haarwäsche mit Bier-Shampoo« beglückte, geriet zu einer surrealen Randerscheinung.
     Er untermauerte seine Partybehauptungen durch intensives Schampusschlucken, was dazu führte, dass ich neben meiner eigentlichen
     Aufgabe mittelfristig auch seine übernehmen musste. Gegen halb zehn verschwand er zum Klo und kehrte vorerst nicht zurück.
     Im stetigen Wechsel befüllte ich entweder neue |10| Gläserphalanxen oder reichte höflich lächelnd Champagner an Leute, die offenbar nicht dazu in der Lage waren, sich selbst
     den Kelch zu nehmen, obwohl Dutzende randvoll bereitstanden. Langsam machte es mir sogar Spaß, und mir kamen Gedanken wie:
     Warum nicht Kellner? Auch nicht schlechter als Rätsel- und Leserbrieffuzzi bei einem Reisemagazin.
     
    »Und Sie sind?«, fragte irgendwann eine Frau, während ich gerade hinter dem Tisch kniete und die Klinge des Teppichmessers
     wechselte. Ich hob das Gesicht über die Tischkante und starrte auf Medsgers Nabel. Etwas in mir wusste, dass es ein Fehler
     war, aber das andere, diese schwer beherrschbare, testosterongesteuerte Bestie, die jeder Schwanzträger als Untermieter mitschleppt,
     wollte es unbedingt. Dreißig Zentimeter höher. Heiliges Nippelballett, das Scheißkleid war
tatsächlich
durchsichtig – wenn man von unten nach oben sah. Ich hatte erst zwei Gläser Champagner getrunken, wovon mein Mund ausgetrocknet
     war und sich pelzig anfühlte, und Leitmann schon zig Male gebeten, vom Bierstand ein Frisches für mich zu holen, was erst
     ein Mal – gefühlt vor Jahren – geklappt hatte, aber mein Schädel glühte, und ich war ob der Situation ohnehin nicht ganz Herr
     meiner selbst. Nach etwa zehn Sekunden, die mein Blick auf diesen unfassbar nahen Brüsten verweilte, hörte ich wie durch Watte:
     »Mein Gesicht ist hier oben. Und Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.«
    Ich spürte, wie fünf Sechstel meines Blutes ins Gesicht zurückschossen, nuschelte »Moment!« und drehte mich, noch immer kniend,
     zu einer neuen Kiste Champagner. Das ging in dieser Position eigentlich nicht, folgerichtig kippte ich seitwärts um.
    Zum Glück ließ ich das neu munitionierte Teppichmesser rechtzeitig fallen. Als ich mich aufzurappeln versuchte, erschien eine
     grazile, engelhafte Hand vor meinem Gesicht. Wie in Trance griff ich danach und ließ mich von der Frau meines Chefs in die
     Höhe hieven. Aus dieser Perspektive blieben die Schätze ihres Körpers |11| meinen Blicken verborgen. Trickreiche Sache, so ein Stoff. Ob Sitz von diesen Modegeheimnissen seiner Gattin wusste?
    »Ich bin Marejke Medsger. Hallo«, sagte sie und strahlte mich an. Hätte sie einen Staubsauger in der Hand gehabt und wäre
     ich ein Eskimo, Wüstennomade oder Regenwaldbewohner gewesen – ich hätte ihn ihr abgekauft, dazu alles an verfügbarem Zubehör.
     Ich errötete wieder bzw. blieb rot, irgendwie entzog sich all das meiner Kontrolle. Dann stand plötzlich Heino Sitz neben
     ihr.
    »Kennst du Nikolas Sender schon? Das ist quasi meine Geheimwaffe.« Er grinste mich auf herablassend-freundliche Art an und
     küsste dann ihren Hals. Ich verspürte rasende Eifersucht. Unfassbar. Zu Hause wartete eine schöne, liebevolle Partnerin auf
     mich, eine, die mich kannte, die meine Eigenarten akzeptierte, die genau wusste, was ich beim Sex mochte und was nicht (was
     uns mehrere Monate des Ausprobierens gekostet hatte, aber keine schlechten), die verstand,
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