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Pauschaltourist

Pauschaltourist

Titel: Pauschaltourist
Autoren: T Liehr
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und blieb streng fokussiert. Als sie »Wir sehen uns später, es wäre mir ein großes Vergnügen« sagte und sich auf dem Pfennigabsatz
     umdrehte, um auf Heino Sitz zuzueilen, fühlte ich mich wie von einem anderen Stern. Während der nächsten Stunden litt meine
     Konzentration stark darunter, dass ich ständig nach ihr Ausschau hielt, aber sie kehrte nicht an meinen Champagnerstand zurück.
     
    Dafür schlug Ralf Leitmann irgendwann wieder neben mir auf, schwerst angegangen und eine Ladung Fäkalwitze über mich ausgießend.
     Ich nahm meine erste Pause, es ging auf zwei Uhr morgens zu, nicht wenige Gäste hatten bereits weiße Puderringe um die Nasenlöcher,
     hingen auf den Sofas und in den schweren Sesseln, |14| faselten Schwachsinn oder baggerten das spärliche Weibsvolk jedes Alters an, während die eigenen Gattinnen danebensaßen und
     so taten, als wären sie Tierpflegerinnen und ihre sucht- und/oder libidogesteuerten Ehemänner vom Aussterben bedrohte Regenwaldbewohner
     wie Plumploris, zum Beispiel. Glotzäugige Primaten, ganz auf Arterhaltung konzentriert.
     
    Ich drängte mich durch die Menge, die fast alle Bereiche der vielräumigen Villa bevölkerte, und bemühte mich, keinem auf die
     Füße zu treten, der wichtig war. Etwa dem angeschickerten Kritikerpapst, der vor dem Kamin kniete und offenbar Taschenbücher
     verfeuerte. Oder dem in Ungnade geratenen Schriftsteller, der mal einen wichtigen Buchpreis abgelehnt hatte, um ein Zeichen
     zu setzen, das keiner verstand, und der jetzt versuchte, seine Zunge mit den Fingern so weit aus dem Mund zu ziehen, dass
     er damit seine Stirn berühren konnte. Vor der Gästetoilette, die als Damenklo ausgewiesen war, stand eine lange Schlange,
     aber vor dem Bad im ersten Stock wartete niemand. Ich lehnte mich gegen die Wand, genoss den Moment der Ruhe und hoffte darauf,
     dass der Abend genau jetzt zum Beispiel durch eine Anschlagsdrohung endete, und betrachtete die Tür, unter deren Klinke das
     »Besetzt«-Symbol meine ganze Aufmerksamkeit beanspruchte. Ich dachte an nichts Spezielles, vielleicht flüchtig an die Nippel
     von Marejke Medsger. Zwei Minuten später ging die Tür auf, und sie stand vor mir.
    Sie sah so hinreißend aus wie vor drei, vier Stunden. In diesem Augenblick erklang laute Musik von unten, vermutlich machte
     das Klassik-Quintett, das im Ballsaal – Sitz’ Anwesen verfügte
tatsächlich
über einen Ballsaal – gespielt hatte, jetzt Feierabend. »Are we human or are we dancer?«, fragte Brandon Flowers. Die Hausherrin
     blieb in der geöffneten Tür stehen und fixierte mich, so wie ich kurz zuvor noch das Besetztzeichen fixiert hatte. Ihr Gesichtsausdruck
     hatte jetzt etwas Raubtierhaftes.
    »Wissen Sie, wie dieser Song gemeint ist?«, fragte sie.
    |15| Ich schüttelte den Kopf. Ich hätte weder diese sinnfreie noch irgendeine andere Frage beantworten können, nicht in diesem
     Moment, der nur aus einem halbtransparenten Abendkleid und einem Körper bestand, den Gott für alle anderen weiblichen Körper
     als Gussform entworfen, dann aber – leider – verlegt hatte. Ich starrte ihre Brüste an, und es war mir nicht mal peinlich.
     In diesem Zustand hatte ich mich noch nie erlebt.
    »Wie alt sind Sie?«
    »Achtunddreißig«, teilte ich dem Nippelpaar mit.
    »Ich hätte Sie auf höchstens zweiunddreißig geschätzt«, flötete sie und machte einen Schritt auf mich zu.
    Weil ich bewegungs- und antwortunfähig war, redete sie weiter. »Ich bin jetzt einunddreißig.« Sie sah an mir vorbei, zur Treppe.
     »Heino war meine letzte Chance.« Sie zuckte mit den Schultern, was ich wie durch eine Spezialbrille wahrnahm, die alles außer
     Marejke Medsger filterte.
    »Quatsch«, murmelte ich und hatte meine Aussprache dabei kaum mehr unter Kontrolle. Medsger lächelte und kam noch näher. »Was
     für ein hübscher Zufall, dass wir uns hier treffen. Finden Sie mich eigentlich attraktiv?«
    Ich nickte. Vielleicht etwas zu heftig, aber wenigstens verkniff ich mir die Bemerkung »Was ist denn das für eine
saublöde
Frage?« Sie nahm meine Hand, das fühlte sich an, als würde mich die Auserwählte bestäuben. Dann zog sie mich in Richtung des
     Raumes, der durchaus dafür gedacht war, Körperflüssigkeiten loszuwerden, aber nicht auf die Art, die Sitz’ Ehegattin im Auge
     zu haben schien. Und die meine Sinne komplett beherrschte.
    »Das bleibt unter uns«, flüsterte sie mir ins Ohr, als wir das riesige Bad betraten. Eine Gänsehaut flutete
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