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Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse

Titel: Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
Autoren: Jan Beinssen
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hat ihn angebrüllt und bis ins Treppenhaus getrieben. Der Schreiner war sicher viel kräftiger als er, aber er war durch Densdorfs cholerischen Ausbruch völlig verunsichert. Densdorf schrie weiter auf ihn ein und versetzte ihm einen Stoß. Ich weiß noch immer nicht, ob Densdorf ihn umbringen wollte oder ob es ein Unfall war – jedenfalls geriet der Schreiner durch den Stoß ins Stolpern. Er versuchte sich abzufangen, griff nach meinen Haaren, doch dann taumelte er und fiel rückwärts die Treppe herunter.« Lenas Stimme wurde unsicher, als sie weiter berichtete: »Wir sind ihm sofort hinterhergelaufen. Densdorf fühlte seinen Puls. Dann befahl er mir, mit anzufassen und den Mann zurück nach oben zu tragen.«
    »Aber Lena!«, protestierte Paul. »Wenn du unschuldig warst, wie du behauptest, warum hast du dann nicht sofort einen Notarzt verständigt?«
    »Unschuldig war ich zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr. Mir war klar, dass Densdorf später alles genau umgekehrt hätte darstellen können. Dann wäre ich diejenige gewesen, die den Schreiner gestoßen hätte.«
    »Ihr habt den armen Mann zurückgetragen, um ihn dort sterben zu lassen?«, fragte Paul fassungslos.
    »Ich kann es dir nicht genau sagen«, wich Lena aus. »Ich habe Densdorf beim Schleppen geholfen. Danach habe ich das Zimmer sofort verlassen – ich konnte das alles nicht länger ertragen.«
    »Densdorf war also allein mit ihm und hat womöglich noch einmal nachgeholfen?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Lena flehentlich. »Ich will es nicht wissen.«
    »Was hat Densdorf gesagt?« Paul ließ Lena keine Pause. »Wie hat er dich mit ins Boot geholt? Es muss doch einen ganz konkreten Grund dafür geben, dass du nicht sofort einen Arzt oder die Polizei gerufen hast.«
    »Die Angst«, sagte Lena bestimmt. »Die Angst davor, dass mir niemand glauben wird.«
    Paul sah sie unschlüssig an. »Ist das nicht ein abwegiger Gedanke in einem solchen Moment?«
    Lena schüttelte entschieden den Kopf. »Es gibt keine schlüssigen Gedanken in einer solchen Lage. Überhaupt keinen. Die Logik setzt aus. Erst kam die Angst – und dann die Versuchung. Die Versuchung, alles hinter mir zu lassen. Um das zu tun, was ich wirklich will.«
    »Vor deinen Augen haucht ein Mensch sein Leben aus, und du denkst über deine Zukunft nach?«, Paul schrie die Worte beinahe heraus.
    »Ja. – Ein Gedanke«, sagte Lena schließlich, »war tatsächlich der, dass ihr alle mich mal am Arsch lecken könnt.«
    Sie lächelte. Nicht bösartig. »Das Geld, das Densdorf und ich mit dem Bild machen konnten, hätte es mir ermöglicht, meinem ewigen Alptraum zu entkommen: irgendwann einmal als einsame Jungfer zu sterben. Ich hätte meinen alten Zielen und unerfüllten Träumen abschwören können und wäre zur unbeschwerten Weltenbummlerin geworden. Klingt das nicht herrlich kitschig? Zu schön, um wahr zu sein, was?«
    »Du hast sie ja nicht alle beisammen«, sagte Paul. »Wie konntest du dich auf so eine Sache einlassen?«
    »Ich möchte gern wissen, wie du an meiner Stelle gehandelt hättest. Du hättest den toten Schreiner auch nicht wieder zum Leben erwecken können.«
    Paul deutete ein Nicken an. »Aber der Rest der Geschichte macht dich zur Kriminellen.«
    Lena strich sich mit den Zeigefingern über den schlanken Nasenrücken. »Ich habe es immer für eine abgedroschene Floskel gehalten, wenn jemand sagte, er sei in etwas einfach so hineingerutscht. Aber so etwas kann passieren.«
    »Wie?«, fragte Paul. »Warum gab es dann weitere Tote? Wollte dich Densdorf um deinen Anteil bringen?«
    »Nein«, sagte Lena, und die vertraute Milde kehrte in ihre Gesichtszüge zurück. »Ich sagte ja, dass dies alles verführerische Gedanken waren. Aber in Wirklichkeit hatte ich Angst vor meiner eigenen Courage und habe mal wieder gekniffen. Ich habe Densdorf gesagt, dass er sich der Polizei stellen und wir das Bild abgeben müssten.«
    »Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.«
    »Am Tag nach dem Drama mit dem Schreinermeister wollte ich ehrlich aussteigen. Selbst auf die Gefahr hin, dass Densdorf vor Gericht den wahren Ablauf zu seinen Gunsten verdrehen würde. Aber dann wurde mir Schlag auf Schlag klar, dass ich bereits viel stärker belastet war, als ich zunächst angenommen hatte: Densdorf hatte während des ganzen Vorfalls seine Handschuhe nicht ausgezogen – ich hatte dagegen gar keine angehabt. Er trug einen glatten Synthetikmantel – meiner dagegen hinterlässt ständig und überall Fussel. Und
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