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Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse

Titel: Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
Autoren: Jan Beinssen
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einen Moment dachte ich darüber nach, ob ich ihn nicht einfach in das Fass stoßen sollte.
    Doch als er tatsächlich abzurutschen drohte, half ich ihm: Ich krallte meine Finger in seinen Hosenbund. Als sich eine zweite Gelegenheit ergab – auf der Brücke … Er taumelte ja ohnehin schon gewaltig. Ein Schubs war gar nicht nötig. Nenn es meinetwegen unterlassene Hilfeleistung.« Lena musste Pauls Skepsis ahnen, denn sie ergänzte: »Er kam tatsächlich auf einer gefrorenen Pfütze ins Rutschen, ganz so wie es die Polizei später nachgestellt hat. Er fand es anfangs sogar lustig und machte sich einen Spaß daraus, seinen angeschlagenen Gleichgewichtssinn auf die Probe zu stellen. Ich ging also bis ganz dicht vor die Brüstung, er schlidderte lachend auf mich zu, und dann trat ich einen Schritt zur Seite. Er bekam gerade noch kurz den Ärmel meines Mantels zu fassen, bevor er fiel.«
    Paul nestelte an seinem Rollkragen. In Lenas Wohnung war es warm, viel zu warm. Die Luft war staubtrocken. Er fühlte sich in eine ausweglose Situation gebracht. Ein guter Freund gesteht einem, dass er in ein furchtbares Verbrechen verwickelt ist. Gleichzeitig sprechen die Umstände für ihn. Alles fügt sich so, als sei es vom Schicksal vorbestimmt. Die Bösen bekommen, was sie verdienen. Paul brauchte Zeit zum Rekapitulieren, die aber hatte er nicht.
    »Zeig mir das Bild«, sagte er unvermittelt.
    »Willst du nicht wissen, warum der Kunststudent sterben musste?«
    »Nein«, sagte Paul, »noch nicht.« Er wiederholte seine Aufforderung: »Zeig mir das Bild.«
    »In Ordnung.« Lena stand auf. Sie zog sich ein Paar elegante, anthrazitfarbene Hausschuhe über und ging zum Schlüsselbord. Paul folgte ihr unaufgefordert. Sie verließen die Wohnung und gingen hinab. Paul stutzte einen Moment, als sie die Tür zum Kellergeschoss aufschloss, ging ihr aber hinterher. Der Keller war spärlich beleuchtet, Paul erkannte jedoch sofort, dass er Jahrhunderte älter war. Die Wände waren aus groben Steinen gemauert, es war feucht und muffig. Geduckte Säulen verbanden die steinernen Bögen eines historischen Gewölbekellers miteinander. An den Mauern, von denen kieselsteingroße Stücke bröckelten, erahnte er Reste von Arkaden.
    »Okay, hier ist es«, sagte Lena und schloss die aus Leisten gezimmerte Tür zu ihrem Kellerabteil auf. Sie bemerkte Pauls bewundernden Blick, als er die zerfurchten Reste einer gotischen Säule betrachtete. »Ich habe mir dieses Haus nicht von ungefähr ausgesucht. Es ist eines der ältesten in Nürnberg. Gotische Decke mit Verzierungen aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Vorher war es wahrscheinlich ein romanischer Wohnturm.«
    Paul merkte, wie sie ihre Professionalität schützend vor ihre Emotionen stellte. Er ging darauf ein. Zumindest einen Moment lang. »Was war das hier einmal? Ein Weinkeller?«
    »Ja«, sagte Lena. »Ein Kontor. Bis zur Decke voll mit Frankenwein. Mein Abteil war früher mal das Kabinett. Hier stimmt das Klima, um die Besten der Besten zu lagern. Siehst du das Regal dort? Ich habe auch einige, die nicht zu verachten sind«, sagte sie, und es klang fast wie eine Einladung.
    Doch Paul ließ sich nicht beirren. »Das Bild, Lena. Wir sind wegen des Bildes hier.«
    Lenas schwarzes Haar schimmerte im dünnen Licht der Kellerlampe wie Seide. Sie bückte sich, um einen Verschlag zu öffnen, aus dem sie einen langen Pappzylinder holte.
    Paul trat ehrfürchtig einen Schritt zurück, als sie den Zylinder öffnete. »Bist du sicher, dass ein Weinkeller die ideale Lagerstätte für eine uralte Zeichnung ist?«
    »Du meinst eine, die Millionen wert ist? Ja, das bin ich. Das Papier ist absolut geschützt durch eine Folie. Keine Chance für die Feuchtigkeit. Und der zweite Feind alter Kunstwerke, das Licht, ist hier unten zu hundert Prozent eliminiert.«
    »Lass es mich sehen«, sagte Paul. Seine Stimme zitterte vor Erregung.
    »Weißt du, was die Leute für solche alten Meister zu zahlen bereit sind?«, fragte Lena und machte keine Anstalten, den Inhalt des Zylinders auszurollen. Ihre Worte bildeten kleine weiße Wolken in der eiskalten Luft.
    »Ich schätze, man kann damit recht viel Geld verdienen – oder verlieren«, sagte Paul und starrte auf die Rolle in Lenas Händen. »Um ehrlich zu sein: Ich habe keine Ahnung.«
    »Ich schon«, sagte Lena. »Aus nahe liegenden Gründen bin ich auf dem Laufenden. Carl Spitzwegs Der arme Poet ist 1989 gestohlen worden. Er wird auf fünfhunderttausend Euro geschätzt. Caspar
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