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Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse

Titel: Paul Flemming 01 - Dürers Mätresse
Autoren: Jan Beinssen
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David Friedrichs Ansicht eines Hafens wird auf vier Millionen Euro taxiert. William Turners Licht und Farbe ist seit 1994 spurlos verschwunden. Wer es findet, darf fünfzehn Millionen Euro Finderlohn einstreichen. Aber das ist nichts gegen Peter Paul Rubens’ Bethlehemitischer Kindermord – er ist vor ein paar Jahren für mehr als siebenundsiebzig Millionen Euro verkauft worden.«
    »Ein echter Dürer …«, überlegte Paul und spürte die Kälte des Raums.
    »… dürfte da mühelos mithalten können«, vollendete Lena seinen Satz. »Noch dazu, weil es ein unbekanntes Werk ist. Ich denke, wir kommen da in Kategorien wie bei Vincent van Gogh. Ich habe mich schlau gemacht: Für sein Porträt des Dr. Gachet hat ein japanischer Industrieller zweiundachtzigeinhalb Millionen US-Dollar bezahlt. Ich habe bereits angefangen, mich dezent auf dem Schwarzmarkt umzuhören. Aber so etwas ist gefährlich.
    Man braucht Zeit, um einen sicheren Abnehmer zu finden. Zwei weitere Wochen hätten mir gereicht, und ich hätte das Bild verkaufen können«, mit diesen Worten ließ sie ein Gummiband zur Seite gleiten, und das Bild entrollte sich im Zeitlupentempo.
    Paul war überwältigt. Seine Augen versuchten, jedes Detail des Bildes gleichzeitig in sich aufzunehmen. Die Formen, die Schattierungen, die Linienführungen. Er sah Unebenheiten, die rau und willfährig wirkten und doch die Hand des Meisters zeigten, ein Ausdruck von Emotion und Stärke.
    »Dieser Mann konnte mit einer einfachen Zeichnung das Blut des Betrachters in Wallung bringen«, sagte Lena mit Feuereifer in der Stimme. Ihre Hände zitterten. »Siehst du den Seidenschal auf ihrem Oberschenkel? Obwohl es eine Schwarzweißzeichnung ist, weiß man, dass der Schal rot ist. Vielleicht wusste Dürer, dass dieses Werk viel Übel auslösen kann.«
    Auch Paul ahnte intensive Farben hinter den feinen, schwarzen Linien. Er war beeindruckt von der Intensität der Zeichnung. Wenn Dürer Frauen malte, strotzten sie vor Üppigkeit und Lebenskraft. Die Frau auf dem Bild übertraf all seine anderen Darstellungen. Diese Frau atmete das Leben!
    Die rätselhafte Unbekannte füllte das Bild weitgehend aus. Es war kaum ein Hintergrund zu sehen. Nur ein paar an Buchstaben erinnernde Zeichen waren am oberen Rand aneinander gereiht worden, allesamt für Paul so sinngebend wie Hieroglyphen.
    Die Frau saß auf einem Sofa oder einem Bett. Sie war keine Schönheit und die altertümliche Kleidung wirkte nicht gerade sexy. Sie trug ein Nachthemd, keineswegs geschlossen. Ihre Brüste waren voll, jedoch asymmetrisch. Sie hingen nach unten, und der Bauch entsprach nicht im Entferntesten modernen Schönheitsidealen. Speckringe wurden nicht kaschiert, trotzdem hatte Paul selten zuvor ein erotischeres Bild gesehen. War es die Haltung der Frau, die bedingungslose Offenheit signalisierte? Oder das Gesicht, das ihn verrucht, unschuldig, fordernd und verspielt, verträumt und anstachelnd zugleich ansah und ihn damit herausforderte, wie es eigentlich nur ein Gegenüber aus Fleisch und Blut könnte?
    »Sie ist vor ein paar hundert Jahren beerdigt worden. Du musst dir keine Hoffnungen mehr machen«, sagte Lena, der Pauls Reaktion nicht entgangen war. »Eine bemerkenswerte Frau. Dürer muss sie vergöttert haben.«
    Lenas Blicke ruhten noch versonnen auf dem Bild, als Paul sie aufs eigentliche Thema zurückzwang. »Der Student sollte die Echtheit des Bildes bestätigen.«
    Lena nickte, aber Paul merkte sofort, dass ihr Blick diesmal verschlossen war. Da war nichts Geständiges mehr. »Wie gesagt: Ich konnte es ja kaum ins Museum tragen. Ich habe ihm Geld gegeben, und er sollte mir sagen, ob ich das Bild richtig eingeordnet hatte oder völlig falsch lag. Später hätte ich dann mehr investieren müssen, um an eine Expertise für einen möglichen Schwarzmarktkunden zu kommen.«
    »Und nebenbei durfte er für dich die Drecksarbeit erledigen«, spielte Paul auf den Einbruch in seiner Wohnung und den nächtlichen Überfall an.
    Lena rollte das Bild behutsam wieder zusammen. »Ich hätte auf einem der Fotos, die du auf dem Christkindlesmarkt geschossen hast, zu erkennen gewesen sein können. Das Risiko war mir einfach zu groß.«
    »Das ist doch Unsinn«, sagte Paul harsch. »Jeder konnte dich mit Densdorf durch die Menge schlendern sehen.«
    »Das glaube ich nicht: Mein Gesicht war mit Schal, Kragen und Kapuze quasi vermummt. Wir waren an dem Abend außerdem immer in Bewegung. Und die Markthändler haben über Densdorfs
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