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Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Titel: Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille
Autoren: Anne Chaplet
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»Ich glaube, sie hatte Angst, etwas zu vergessen.«
    »Das ist ja wohl exakt der Grund, warum man etwas aufschreibt, oder?« Kollege Keil, spöttisch.
    »Sie war nicht immer bei sich. Mal erkannte sie mich, mal nicht. Und die Zettel, die ich gesehen habe …« Weiter kam Bremer nicht.
    »›Wie heißt die weiße Katze‹.« Der Kollege hatte jeden einzelnen der Zettel in einer Plastiktüte gesichert. »›Das Kleid gehört Sascha‹. ›Aprikosenkuchen‹. ›Ich vermisse dich‹.«
    Das klang nicht gut. Er kannte die Symptome. So sah der Anfang vom Ende aus. Beim alten DeLange hatte das Ende sechs Jahre gedauert.
    »Sie verliert ihr Gedächtnis«, sagte Bremer leise. »Sie versucht verzweifelt, sich zu retten. Etwas von sich zu bewahren.«
    DeLange sah Sophie Winter vor sich, die lebhaften braunen Augen, das volle weiße Haar, ihren leisen Spott. Sie hatte so normal gewirkt.
    »›Wodka‹«, las der Kollege vor. »›Vomacur‹.«
    »Ein Mittel gegen Übelkeit«, sagte DeLange. Wieder stellten sich die Härchen auf seinen Unterarmen auf.
    »›Taufstein. Schnee unterm Sternenhimmel‹.«
    Er kannte dieses Rezept. Auch wenn es in dem Fall, an den er sich erinnerte, »Feldberg« geheißen hatte, der damals ebenfalls tief verschneit gewesen war. Und Whiskey statt Wodka. Es galt als todsicher.
    »Eine Anleitung zum Selbstmord«, sagte Karen. »Wodka zum Eindämmern, Vomacur gegen Erbrechen – den Rest erledigen der Schnee und die Kälte. Zumal Alkohol die Blutgefäße erweitert. Das führt zu Wärmeverlust, und dann geht alles noch schneller. Sie sollten die Frau sofort suchen lassen.«
    Der Kollege guckte zweifelnd, wahrscheinlich nur, weil er auf die Idee nicht selbst gekommen war. Eine gestählte Blonde im engen weißen Overall kam aus dem Garten. »Knochen«, meldete sie. »Eine ganze Sammlung davon. Unter einem Baum.«
    »Was für Knochen?«
    »Von einer Katze, nehme ich mal an«, sagte die Kollegin und grinste dabei. Unnötigerweise, fand DeLange. Und plötzlich ging ihm alles viel zu langsam.
    Doch dann ging alles viel zu schnell.

14
    Wie kostbar jeder Moment geworden ist. Das letzte Mal ist das erste Mal: Staunen.
    Fühlen, hören, sehen wie noch nie und niemals mehr. Das Leder unter den Fingerspitzen. Das Motorengeräusch wie aus weiter Ferne. Der Lichtkegel der Scheinwerfer, der über die Straße fährt, als ob er sie streicheln will. Fast undurchdringlich das Treiben da vorne, all die Schneeflöckchen Weißröckchen, die vor der Windschutzscheibe taumeln. Es ist dunkel. Es wird nie mehr hell werden.
    Der Straße folgen. Was da draußen ist, jenseits des Lichtspiels im Schneetreiben, liegt verborgen. Aber was macht das schon. Der Weg nach oben ist leicht. Eintauchen in eine weiße Wand. Hindurchfluten.
    Der Parkplatz bei der Taufsteinhütte verschneit und leer. Der Mercedes rollt geräuschlos an seinen Platz. Den Schlüssel steckenlassen. Aussteigen. Nur nicht die Tasche vergessen.
    Hoch durch den verschneiten Wald, durch den auffliegenden Schnee, geräuschlos, spurlos, fast ohne Erdenschwere. Atmen. Das letzte Mal atmen. Alles atmet mit: der Wald der Schnee die Welt.
    Nach oben, dorthin, wo der Himmel ganz nah ist.
    So soll es sein. Sei keine Last, wenn du gehst.
    So weiß. So weich. So kühl auf der brennenden Haut.
    Nicht fallen. Weitergehen. Höher. Steigen. Atmen. In die weiße Dunkelheit. Ins weiße Nichts.
    So weiß wie Schnee. So rot wie Blut.
    Ein Bett in der Unendlichkeit. Es ist kalt. Es ist warm. Es wird wärmer. Tanzende Engel. Schneeflocken auf den Lidern, auf den Lippen, erst heiß dann kalt dann warm.
    Der erste Schluck brennt sich die Kehle hinab. Der zweite heilt. Nach dem dritten teilen sich die weißen Schleier. Dunkler schwarzer Samt. Darauf gebettet die Sterne.
    Nah. Näher. Zum Greifen nah.
    Ein Wind treibt vorüber. Er riecht nach Afrika. Er klingt nach weiten Schwingen. Der Nachtvogel. Der Tagvogel. Rote und grüne Federn und um den Hals lauter Gold und die Augen wie Sterne. Der singt so schön.
    Kiwitt.

15
    »Warum sollte sie sich umbringen?« Nicht über Feli reden, Karen, ja? Und wenn du bitte mal Gas geben könntest.
    »Weil sie dabei ist, ihr Gedächtnis zu verlieren.« Karen blickte geradeaus. DeLange wünschte sich sehnlichst, sie würde den feuerroten Toyota überholen, dem sie seit Wochen, nein: seit Monaten hinterherfuhren. Aus SÖM wie Sömmerda. Ein Ossi mit dem neuesten Modell. Die haben’s nötig da drüben.
    »Bringt man sich deshalb um?« Ja, dachte DeLange. Luigi
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