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Patentöchter

Patentöchter

Titel: Patentöchter
Autoren: Julia Albrecht & Corinna Ponto
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sie wiedersehen würde. Vom ersten Augenblick an war die maßlose Sehnsucht nach der abwesenden Schwester ein fast ebenso überwältigendes Gefühl wie das Grauen über die Tat. Die Frage, wann ich sie wiedersehen würde, begleitete mich quasi von der ersten Sekunde an.
    13 Jahre nach der Tat schilderte Susanne den Tathergang laut Vernehmungsprotokoll vom 16. Juli 1990 den Beamten der Bundesanwaltschaft gegenüber so:
    Ich klingelte an dem Außentor, und durch die Gegensprechanlage wurde gefragt, wer dort sei, und ich nannte meinen Namen. Daraufhin wurde der Türdrücker von innen bedient und die Tür geöffnet. Wir drei gingen hinein. Wir wurden drinnen von einem älteren Mann empfangen, und ich sagte, dass wir zu Jürgen Ponto wollten. Dieser war im Nebenzimmer, im Wohnzimmer wohl, kam dann heraus und begrüßte uns. Wir wurden dann in das Wohnzimmer geführt von Herrn Ponto, sagten ihm guten Tag, und aus meiner Erinnerung war es so, dass ich Frau Ponto gar nicht gesehen habe, sondern [sie] nur im Nachbarzimmer, das war so ’ne offene Verbindungstür, würde ich mal sagen, telefoniert hat. Also, ich hab sie gehört.
    Wir gingen also zusammen ins Wohnzimmer, ich möchte das mal demonstrieren, wie die Stellung war, vor der Tötung Pontos. Ich oder Frau Mohnhaupt übergab noch Blumen, ich weiß nicht, ob die weggelegt oder in ’ne Vase gestellt oder abgegeben worden sind. Wir standen zusammen im Zimmer, wobei Herr Ponto etwa ’ne Mittelposition einnahm. Links von mir stand Herr Klar und rechts Frau Mohnhaupt. Es war etwa so, dass man sich halb um ihn herum gruppierte. Nach kurzen Begrüßungsfloskeln zog Herr Klar seine Waffe zuerst, fast im selben Moment dann auch Frau Mohnhaupt, und er sagte dem Inhalt nach: »Wir wollen Sie entführen«, worauf er [Jürgen Ponto] eine Bemerkung machte so in der Richtung: »Sie sind verrückt« oder in der Art, genau weiß ich das nicht mehr. Er sagte das mit ruhiger, eher leiser Stimme. Er streckte daraufhin seine Arme aus, machte aber keine schnellen Bewegungen auf irgendjemanden zu, sondern die Arme waren ziemlich breit, also es sah mehr aus, also in der Richtung von Frau Mohnhaupt, und es war so ’ne Abwehrposition. Eine Abwehrposition, keine aggressive Position, dass er jetzt auf jemanden zugegangen wäre oder irgendwie zum Schlag ausgeholt hätte, so was war überhaupt nicht vorhanden.
    Als er sich in Richtung von Frau Mohnhaupt bewegte, das war ja alles nur ein kleiner Kreis, es waren ja keine großen Entfernungen, schoss Herr Klar mehrere Male, wie oft kann ich mich nicht erinnern. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob daraufhin Frau Mohnhaupt auch schoss. Ich habe Frau Ponto während dieser Zeit nicht gesehen, ich hörte nur weiterhin ihre Stimme am Telefon, wohl dann auch irgendwie einen Schrei von ihr, nachdem die Schüsse gefallen waren. Herr Ponto stürzte zu Boden, blieb am Boden liegen, und wir liefen aus dem Haus.
    Wenige Monate später, am 5. Februar 1991, präzisierte Susanne ihre Aussage noch einmal:
    Es gab kein Gerangel mit Herrn Ponto, die tödlichen Schüsse waren also völlig unnötig. Es ist auch nicht so, dass Klar den Schuss unabsichtlich abgegeben hatte, es war vielmehr ein absichtlicher Schuss.
    Der Rest des Abends des 30. Juli 1977 bleibt für mich blank. Ich weiß, dass meine anderen Geschwister, die damals schon lange nicht mehr zu Hause wohnten, zu uns kamen. Ich weiß aus Erzählungen, dass mein Vater mit Herzproblemen kämpfte und dass jemand ihn zum Arzt begleitete. Ich weiß, dass auf einmal alles anders war – aber das war nur als ein Schatten zu spüren und für mich nicht einmal im Ansatz begreiflich.
    In dieser Nacht schliefen wir drei, meine Eltern und ich, gemeinsam in einem Bett. Das hatten wir noch nie getan. Es war dem Grauen geschuldet, dem Wunsch, sich aneinander anzulehnen, Trost zu erhalten, wo es keinen Trost gab. Ich kam an den Rand und lag halb im Buchregal, in das das Bett eingebaut war und das wir notdürftig mit einer Decke ausgepolstert hatten. Ich habe das Gemeinsam-in-einem-Bett- Schlafen als eine Geste der Nähe verstanden, als Zeichen, jetzt zusammenzuhalten. Sich gegenseitig Schutz zu gewähren.
    Ich erinnere mich, dass ich in dieser Nacht mit der Frage rang, ob das moralische Versagen meiner Schwester irgendwie mit meinen Eltern zu tun haben könnte. In meiner kindlichen Logik war es für mich einfacher zu glauben, dass Susanne etwas so Grauenhaftes, so Abgründiges nicht selbstverantwortlich, aus eigenem Antrieb,
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