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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux
Autoren: Philippe Djian
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wenn ich wie ein Kuhhirt inmitten einer im Mondschein schlummernden Herde zwischen den Tischen auf und ab ging. Es war schon viel, wenn einer von ihnen seine Beine auf der Suche nach einer bequemeren Haltung ausstreckte, vielleicht hüstelte mal jemand in dem friedlichen Augenblick, wo sich die Mehrheit mit offenen Augen dem Schlaf überließ. Aber wehe, man gibt Hélène Folley die gleiche Klasse, sogleich wird eine Staubwolke über der Weide aufsteigen und das Licht des Himmels rot färben. Ich wußte nicht, wie zum Teufel sie es anstellte. Und ich wollte es auch nicht wissen.
    Ich suchte ihre Gesellschaft nicht, konnte mich ihr aber nicht entziehen. Wir waren beide mit dem gleichen Notengewicht ausstaffiert, und der Umstand, daß wir gemeinsam diese Niedertracht erlitten, führte aus ihrer Sicht dazu, daß einer dem andern gegenüber gewisse Rechte hätte. Ich spürte durchaus, wie weit diese geheime Übereinkunft gehen mochte, die sie mimte, wenn wir zusammen waren. Und da sie noch nicht lange auf Saint-Vincent war, gab es immer etwas, worum sie mich bitten konnte, ein Ratschlag, eine Meinung, eine Information über diesen und jenen und Gott weiß was, oder aber sie kam, um mein Büro einzuräuchern und so lange auf dem Stuhl zu wackeln, bis ich endlich meine Zeitung hinlegte. Sie war nicht schön, aber manchmal verwirrte mich ihre Anwesenheit dermaßen, daß ich lieber hinausging. Ich hatte nicht die Absicht, mich in irgend etwas zu verstricken. Und wenn sie fragte, was in mich gefahren sei, antwortete ich ihr, sie sei ganz schön neugierig.
    Bislang hatte ich bestimmte freundschaftliche Gesten, die meines Erachtens nur überflüssigen Mißverständnissen Tür und Tor öffneten, tunlichst vermieden. Ich erinnerte mich, daß ich ihr vielleicht mal die Hand gegeben hatte, ganz am Anfang, aber seitdem hatte ich mich auf Distanz gehalten. Sie selbst verhielt sich, als wären wir uralte Freunde. Jetzt war sie gerade dabei, nach vorn gebeugt, halb zur Wand gedreht, ihre Strümpfe zurechtzuzupfen, so daß sie mir ihr von einem aprikosenfarbenen Jerseyrock umhülltes Hinterteil darbot, das sie nur langsam wieder einzog. Worauf ich nach meinem Telefon griff.
    Ramona fühlte sich nicht besser. Meine Mutter, die dem Elend der Welt quasi gleichgültig gegenüberstand, räumte trotz allem ein, daß ihr Ramonas Zustand Sorgen mache, und mehr bedurfte es nicht, um mich zu alarmieren. Wenn sich meine Mutter beunruhigte, brannte es schon auf der Treppe. »Ich kann Spaak nicht erreichen«, erklärte sie mir, »aber ich gebe die Hoffnung nicht auf …« Ich mußte unwillkürlich lächeln, denn der Glaube, so erschreckend er ist, imponiert dem Ungläubigen, entwaffnet ihn und leuchtet in seinen Augen wie eine ferne und milde Herbstsonne. Doch ich ließ nicht locker. Ich hielt das für unvernünftig. Sie gab mir zur Antwort, sie habe Ramona schwören müssen, bis zum Abend zu warten, ehe sie »einen dieser jungen, unerfahrenen Typen, die keine Ahnung haben« rufe. Ich sagte meiner Mutter, sie seien beide verrückt und ich auch, wo wir schon dabei waren.
    »Wer ist Ramona?« fragte mich Hélène, als die Klingel gerade den Beginn der nächsten Stunde ankündigte.
    Ich packte meine Sachen und ging hinaus, ohne einen Ton zu sagen. Ich gebe zu, daß sie mich an manchen Tagen zerstreute, daß mich ihr Plaudern zuweilen amüsierte, aber ich verlor nie ein Wort über mein Privatleben. Kaum schritt ich durch das Portal von Saint-Vincent, existierte sie nicht mehr für mich. Die ganze Schule löste sich hinter mir auf, abgesehen von Heissenbüttel und seiner Frau, die zu Ediths Bekanntenkreis zählten.
    Ich hatte den Eindruck, daß sie sich damit abgefunden hatte. Sie spielte zwar noch die Beleidigte, wenn ich mich weigerte, sie über Dinge aufzuklären, die mir ein wenig nahegingen, aber sie hakte nicht nach. Sie behauptete, ich sei nicht ›witzig‹. Oder schlimmer noch, bis sie einsah, daß ich sie außerhalb dieser Mauern nicht sehen wollte, weder auf ein Gläschen noch um ein paar Schritte auf dem Heimweg zusammen zu gehen. Jetzt sagte sie nichts mehr. Wahrscheinlich reichte ihr meine Gesellschaft. Was sie nicht daran hinderte – ich frage mich, ob Frauen in diesen Dingen jemals die Hoffnung aufgeben –, mit Unschuldsmiene ihren Hintern vorzuführen und in mir, das ist kaum gelogen, den Eindruck zu erwecken, ich säße in einer Peep-Show.
    Ich suche nicht nach Entschuldigungen. Es ist mir egal, was andere an meiner Stelle gemacht
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