Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux
Autoren: Philippe Djian
Vom Netzwerk:
steckte ihn in die Tasche. Trotz des Tons, den er anschlug, machte ich mir um Oli keine Sorgen. Ich glaube, er wird schon traurig, wenn er einen Kuli nur in die Hand nimmt.
    »Hören Sie, ich weiß, was Sie denken …«
    Ich blickte ihn erneut an. Sein Gesicht war glatt: keine Spuren von Kämpfen oder Mißerfolgen. Keine Tiefe, kein Geheimnis, fand ich. Nichts als Zufriedenheit …
    »Mag sein …« erwiderte ich.
    Und damit wollte ich aufstehen, denn die Gegenwart dieses Jungen ermüdete mich, und ich spürte, daß er kurz davor war, mir einige Erklärungen über das Leben abzugeben, doch in diesem Moment tauchte Evelyne auf. Mein Gesprächspartner schnellte sogleich in die Höhe.
    »Gehn wir?« bellte er – zumindest klang seine Stimme unangenehm in meinen Ohren, wie ein zu neues Instrument.
    Sie hängte sich bei ihm ein, und ich fand, er hatte unverschämtes Glück.
    »Ich werde versuchen, nicht zu spät nach Hause zu kommen …«, sagte sie.
    Ich nickte nur. Wir hatten Schwierigkeiten, einander zu verstehen, Evelyne und ich.
    Zwischen Eléonore und mir war dafür eitel Sonnenschein. Für sie verblaßte in meinem Schatten die ganze Welt. Und manchmal malte ich mir das vollkommene Glück aus: etwas mehr auf der einen Seite, etwas weniger auf der anderen. Zwei Töchter, wie sie kein Vater je hatte. Jahre zuvor, als sie noch klein waren und ich ihnen beim Einschlafen zusah, da hatte ich geglaubt, ich sei ein Auserwählter.
     
    Rudolf, Vaclav und Isadora, die Pekinesen meiner Mutter, stürzten sich zwischen unsere Beine. Wir hoben sie hoch und trugen sie ins Haus, was ihnen sehr gefiel und uns davor bewahrte, in der Dunkelheit des Gartens über sie zu stolpern. Ich kniete mich hin, um ihr einen Kuß zu geben.
    »Ich bin tot …!« seufzte sie.
    Sie lag auf dem Teppich, die Pobacken an der Wand und die Beine in der Ecke. Ihre Füße waren rot.
    »Evelyne ist uns entwischt«, sagte ich, als wir uns erhoben.
    »Ramona fühlt sich nicht besonders«, antwortete sie.
    Eléonore faßte ihre Großmutter um die Taille, und die Pekinesen hüpften um die beiden herum wie Flöhe. Ich eilte nach oben.
    Ramonas Zimmer war warm und süß, aber es lag noch etwas anderes in der Luft, etwas, das ich nicht wiedererkannte. Als sie die Augen aufschlug, ging ich zu ihr hin und setzte mich auf die Bettkante.
    »Mein Liebes, was fehlt dir denn?«
    Sie richtete sich auf, dann zuckte sie lächelnd mit den Schultern.
    »Na ja, ich werde nächsten Monat siebenundsiebzig. Das dürfte Erklärung genug sein …«
    »Hör mal, ich mein’s ernst.«
    Sie nahm meine Hand und legte sie an ihre Wange, dabei setzte sie eine schelmische Miene auf.
    »Ach, Henri-John! Ich liebe es, wenn du dir Sorgen um mich machst! Das tut mir gut …«
    Das Komische war, daß mich ihr Blick immer noch aufwühlte. Ihr Gesicht war aufgedunsen, aber der Glanz ihrer Augen hatte einen solchen Charme, daß er sie ganz erhellte, auch ihren Körper, der dem Verfall vollständig entging. Ich will nicht behaupten, sie sei schlank und auch nicht, daß ihre Haut glatt sei, oder daß sich ihre Brust gut gehalten habe. Sie war kein junges Ding mehr, auch keine Frau in den besten Jahren. Aber in ihr war eine solche Kraft, daß man derlei Kleinigkeiten leicht übersah. So leicht, daß mich manchmal recht präzise Gedanken befielen.
    »Wirst du mir endlich sagen, was los ist?« murmelte ich.
    »Oh! Sehe ich denn so schlecht aus?«
    Manchmal bin ich der geduldigste Mensch der Welt, und nach einer Weile gab sie endlich zu, sie fühle sich ein wenig erschöpft.
    »Ach nein … Bist du sicher?!« fragte ich grinsend.
    Dann kam Eléonore herein. Ich blieb einen Augenblick mitten im Zimmer stehen, abseits ihres Getuschels, die Hände in den Taschen vergraben. Aber das brachte mich auch nicht weiter.
    Meine Mutter lag auf dem Sofa des Wohnzimmers, damit beschäftigt, Streifen zu schneiden. Ich packte sie an den Zehen und hob eines ihrer Beine an.
    »Das gefällt mir nicht …«, erklärte ich ihr. »Ich glaube, sie ist krank.«
    Sie warf mir einen raschen Blick zu. Seit meiner Geburt trichterte sich Elisabeth Benjamin Tag für Tag ein, daß sie einen Sohn habe, aber sie mochte es nicht glauben. Dabei hatte die Ärmste – und sie hatte weiß Gott darunter gelitten – keine Mühe gescheut. Wie jede andere Mutter hatte sie mich in ihre Arme geschlossen und mit eisigen Küssen bedeckt. Manchmal war sie zu vorgerückter Stunde plötzlich blaß geworden, und es konnte passieren, daß ihr das Glas
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher