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Pariser Bilder

Pariser Bilder

Titel: Pariser Bilder
Autoren: Marcel Jouhandeau
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liebt eine Frau mit einer Wolfsschnauze, die aus einer Aureole von Erzengelhaar hervorschaut, mit schmutzigen Fingernägeln und in einem zerrissenen Kleid. Ein Stich hätte genügt, das Kleid zusammenzunähen, aber der Stich war nicht getan worden. Unordnung der Sanfheit! Sanfheit der Unordnung, die vielleicht das einzig Sanfe an dieser Frau ist. Ein gräßliches Zahnweh plagt sie, und sie führt ihre schmutzige Hand zum Mund, während sie gleichzeitig die gepflegte Hand ihres Liebhabers auf ihren Leib legt. Ihre Halskette besteht aus falschen Perlen, aber ihr Pelz ist echt. Ihre Frechheit ist auch echt, doch nicht ihre Liebe. Die Liebe des Mannes ist echt. Und dabei, das ist die Höhe, liebt er mit all seiner Distinguiertheit diese Frau weniger ihres Erzengelhaars als ihrer Sklavenhände wegen, und eben ihre Frechheit ist das an ihr, was es ihm angetan hat, weil nichts ihm fremder ist, weil er das nicht kennt, weil gerade das, was man nicht kennt, das einzige ist, was einen zur Liebe nötigt, wenn jemanden lieben sehr of nur eine versteckte Art ist, sich selber zu hassen, ohne es zu wissen, und es sich zu beweisen, ohne es sich einzugestehen.

    Juste und Eudoxie

    Juste und Eudoxie haben sich zurechtgemacht, um auszugehen. Sie waren zufrieden in ihren vier Wänden, ehe sie aus dem Hause traten; kaum aber sind sie auf der Straße, bemerken sie, daß man sie anstarrt. Sie haben etwas »zuviel« an sich, das sich nicht ausfindig machen läßt, und alle beide prüfen im Vorbeigehn ihr Spiegelbild in den Schaufensterscheiben, und sie beobachten einander: was das nur sein mag, wodurch sie sich von den andern unterscheiden? Sie sind nicht schöner und nicht häßlicher, weder schlechter angezogen noch besser als jeder andere auch, aber es ist da etwas »zuviel« an ihnen, das die anderen, ohne recht zu wissen, was das sein könnte, nicht ertragen können. Das spüren sie. Und das macht sie unsicher. Es gibt Familien, deren sämtliche Mitglieder mit diesem undefinierbaren »Zuviel« geboren werden, und niemandem, der mit ihnen zu tun hat, ist je ganz wohl in seiner Haut, und sie sind nur in der Einsamkeit glücklich. Dieses undefinierbare »Zuviel« ist die Seele.

    Der Star

    Im Omnibus ein braves bürgerliches Paar; sie benahmen sich wie zu Hause; die Leute um sie herum waren für diese völlige Intimität wie nicht vorhanden, und nichts hätte irgendwo ihre völlige Übereinstimmung zu beeinträchtigen vermocht. Wenn sie derart für die Ewigkeit eins waren (dessen waren sie jetzt sicher, vielleicht hatten sie sich damit abgefunden?), so konnte die Menge sie noch stärker in ihrer Gemeinsamkeit absondern. Nichts existierte, nicht nur so sehr wie einer für den andern, sondern nur so sehr wie alle beide für alle beide, da keiner den andern noch genügend von sich unterschied, um sich in ihm wahrzunehmen. Man vergißt die Gegenwart und schließlich sogar das Vorhandensein des anderen. Der halb eingeschlafene Mann lächelte die Frau an, wie man sich im Spiegel betrachtet, und es war da zwischen ihnen tatsächlich so etwas wie eine anhebende Ähnlichkeit, ein Ansatz zur Gleichheit, der schon die Art, wie sie sich bewegten, und den Ausdruck ihrer Gesichter zu beeinflussen begann. Die Frau hielt vertraulich ihr Buch gegen die Knie des Mannes gelehnt, wie auf ihren eigenen Knien, und aus der Art, wie sie über einander verfügten, erriet man, in welchem Maße sie seit langem schon weder ihre Personen noch ihre Gliedmaßen unterschieden, wenn der Mann sich manchmal in den Händen irrte, die der Frau für die seinigen nahm, ein Wunder der Gewohnheit, das aus der Liebe erwächst und das nach und nach die Unterschiede verwischt, das Geheimnis zerstört! Nach zehn Jahren Ehe geht der Honigmond über Leuten auf, die am Ende nur noch eine Gewohnheit zu ihrer Verfügung haben, einen Appetit, einen Schlaf, einen Zorn, einen Stolz, einen Egoismus, eine Liebe. Eine Liebe? Aber was lieben sie denn noch? Den Star, den Affen, den Pinscher, den Siamkater oder die Taube, die sie zu Hause erwarten.

    Der Schwan

    Ein Schwan war in einen Graben gestürzt und konnte nicht wieder heraus, da es an Raum fehlte, seine Flügel auszubreiten, die vergeblich den ganzen Tag lang im Dunkeln geschlagen hatten. Man beugte sich über den Dulder, mit Fackeln, die ihm Licht brachten, man warf ihm zu essen hinab. Verzweifelt zuletzt oder resigniert, verweigerte er jede Nahrungsaufnahme, und ohne Zorn sah man ihn, der wohl eher an Angst als an Kälte und Hunger
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