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Pariser Bilder

Pariser Bilder

Titel: Pariser Bilder
Autoren: Marcel Jouhandeau
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streut dabei, den Sack schüttelnd, von seinem Korn rings über den Boden, damit die kleinen Vögel auch ihren Anteil an seinem Glück erhalten.

    Der Gefangene

    Welche Würde! welche schwärmerische Bleichheit zeigte der Mann, den zwei Polizisten gestern den Quai de l’Horloge entlangführten! Seine gefesselten, links und rechts auswärts gedrehten Hände glichen zwei Sühnopfern, die er hingegeben hatte, um sich, durch sie entlastet in der Straflosigkeit zu behaupten. Kaum ein oder zwei Mal hat er die Augen aufgeschlagen während der hundert Schritte, die ich ihn vor mir tun sah. Wie es ihm gelang, allein zu sein! Was hatte er verbrochen? Nacheinander schrieb ich ihm versuchsweise alle Untaten, alle Verbrechen zu; sein Gesicht schien jedem zu widersprechen; schmal, vornehm, asketisch, nicht verachtungsvoll, doch unberührbar, von einer gewissen natürlichen Hoheit geschützt und von seinen beiden garstigen Engeln, und hinterdrein immer die gleichen ewigen Kinder. Eine unwiderstehliche Sympathie zieht mich zu den Schuldigen und weckt meine Liebe für sie. Wenn man erst in Ketten endlich »frei« ist, sind es dann nicht ihre Ketten, nach denen mich verlangt, oder ihr Gefolge, jene Ähnlichkeit mit Christus, die man keinem Verbrecher mehr entziehen kann, und hätte er die Strafe, zu der man ihn fortschleif, hundertmal verdient.

    Nachtschwärmer

    Den ganzen Tag lang räkelt Fedor sich in seinem Hotelzimmer, langweilt sich, nimmt weder Frühstück noch Mittagessen ein, schmaust nur etwas Obst und Schokolade. Mit Sorgfalt kleidet er sich gegen vier Uhr an. Sein Anzug ist von untadeliger Eleganz. Endlich gegen sechs Uhr geht er aus und trif bei Dunkelwerden auf dem Boulevard ein. Alle Blicke scheinen sich auf die Straßenecke zu richten, an der er aufaucht; sein Halstuch aus heller Seide unter dem samtgefütterten Mantel umrahmt ein Hungerleidergesicht. Plötzlich kreiselt er um sich selbst, als wäre er beinah gestürzt, fuchtelt mit den Armen, wie um seine Manschetten wieder in Ordnung zu bringen, und mit einer Bewegung fallen seine Haare in ihre ursprüngliche Lage zurück, der Mantel schließt sich wieder, während er mit den Handschuhen den Staub von seinem Filzhut schlägt. Auf dem Boulevard fühlt er sich zu Hause. Nach zwanzig Schritten glaubt er zu erwachen; hier hat er seine Gewohnheiten, die Finsternisse; dort seine Freundinnen, die Lichtreklamen. Lustlos soupiert er mit einem Unbekannten, den er »seines Geldes wegen« verachtet, ehe er noch welker, noch zerknitterter, noch bleicher und stolzer als am Vortag, ohne einen Pfennig, im Morgengrauen heimkehrt. Der Tod wird sein erstes Erwachen sein.

    Blumenhändlerin

    Eine arme Frau lächelt dem Blumenstrauß zu, den sie eben vom Abfallhaufen aufgelesen hat. Sie denkt, er ließe sich wohl noch verkaufen, und das stimmt sie vergnüglich, und im Geiste malt sie sich schon die Mahlzeit aus, die diese faulen Strünke ihr einbringen werden. Wie sie da mit diesem roten, stinkenden Traum in den Händen auf einer Bank des Boulevard sitzt, fühlt sie sich stark genug, nicht zu betteln und ihren Hunger zu überlisten.

    Zwiesprache im Autobus

    Der Mann hat unförmige Hände, wie nachgemacht, und viel zu groß für ihn. Seine Hände sind das Wesentliche an ihm, er selbst ist nur eine Beigabe zu diesen Händen. Er redet. Er redet weniger, um etwas zu sagen und um verstanden zu werden, als um zu reden. Er redet mit den Falten um seinen Mund und vor allem mit den Händen; und das ist auch alles, was seine Frau, die ihm gegenübersitzt, von ihm wahrnimmt, weil sie zwar nicht umhinkann, ihn zu sehen, aber längst die Gewohnheit angenommen hat, ihm nicht zuzuhören. Ohne Verlust für beide könnte sie taub sein und er stumm. Sie antwortet auch niemals mit Worten. Den Falten um den Mund ihres Mannes antworten die Falten um ihren Mund, und den Händen ihres Mannes antwortet sie mit Bewegungen des Kopfes, der Schulter oder der Fühler auf ihrem Hut, und dies so unwillkürlich, daß, wenn der Mann einmal zu reden aufört, sie ganz verstört dasitzt, als wären die Falten um ihren Mund, der Kopf, die Schultern und die Fühler auf ihrem Hut außer Gebrauch geraten; manchmal antwortet sie dann noch, wenn man sie schon längst nichts mehr fragt.

    Unscheinbare Riten

    Gegen Mittag erscheint regelmäßig ein gut aussehender Herr von etwa fünfzig Jahren, um in einer kleinen Seitenstraße, die ich von meinem Fenster aus sehe, stehend sein Mittagsmahl einzunehmen. Nicht mehr, als sich
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