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Paris im 20. Jahrhundert

Paris im 20. Jahrhundert

Titel: Paris im 20. Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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einer Situation, die im Theater noch ganz neu und mit den zuverlässigsten Effekten ausgestattet war. Sterne hatte sie im Kapitel 73 des zweiten Buches von Tristram Shandy in der Episode mit Phutatorius bereits grob umrissen.
    Allein der Titel des Stückes verriet seinen Grundgedanken; es nannte sich:
    Knöpf doch deine Hose zu …!
    Man sieht sogleich, welcher Vorteil aus der pikanten Lage eines Mannes zu schlagen wäre, der vergessen hat, dem zwingendsten Gebot der männlichen Bekleidung zu entsprechen. Der Schreck seines Freundes, der ihn in einem Salon des noblen Faubourgs vorstellt, die Verlegenheit der Gastgeberin, und wenn man dann noch die Geschicklichkeit des Darstellers hinzufügt, bei dessen Spiel das Publikum jeden Augenblick befürchten muß, daß … und das kurzweilige Entsetzen der Frauen, die … Darin lag Stoff genug für einen Riesenerfolg! 1
    Michel allerdings, der sich mit dieser so ausgefallenen Idee herumschlug, wurde von einem Anfall des Ekels gepackt, und er zerriß den Szenenentwurf, der ihm anvertraut worden war!
    »O nein!« sagte er sich. »Ich bleibe keinen Augenblick länger in dieser Höhle! Lieber will ich Hungers sterben!«
    Er hatte recht! Was blieb ihm denn anderes übrig? Sollte er sich etwa in die Abteilung für Oper und Opera buffa abschieben lassen? Niemals hätte er eingewilligt, die törichten Verse zu schreiben, die von den Komponisten seiner Zeit verlangt wurden!
    Sollte er sich vielleicht gar bis zur Revue, bis zum Märchendrama, bis zum offiziellen Gelegenheitsstück erniedrigen?
    Aber dafür mußte man vor allem Maschinist oder Maler und durfte kein Theaterdichter sein; man mußte versuchen, ein neues Bühnenbild zu finden, und nichts anderes! In dieser Gattung hatte man es mit der Physik und der Mechanik weit gebracht! Richtige Bäume, deren Wurzeln in unsichtbaren Kisten steckten, ganze Blumenbeete, echte Wälder wurden auf die Bühne geschafft und Gebäude aus Quadersteinen wurden dort erbaut! Der Ozean wurde durch wirkliches Meerwasser dargestellt, das jeden Abend vor den Zuschauern ausgegossen und am nächsten Tag erneuert wurde!
    Fühlte Michel sich imstande, solche Dinge zu erfinden? Besaß er dieses gewisse Etwas, mit dem man auf die Massen einwirkt und sie zwingt, den Überfluß ihrer Taschen in die Theaterkassen zu schütten?
    Nein! Hundertmal nein!
    Es blieb ihm also nur eines übrig! Zu gehen.
    Und das tat er auch.
Fußnoten
    1 Dieses Stück wurde ein paar Monate später aufgerührt und spielte viel Geld ein. (Anmerkung des Autors.)
Fünfzehntes Kapitel
Elend
    Während all der Zeit im
Großen Dramatischen Depot,
von April bis September, fünf lange Monate voller Enttäuschungen und Ekel, hatte Michel weder seinen Onkel Huguenin noch seinen Professor Richelot vernachlässigt.
    Wie viele Abende, die er zu den schönsten zählte, hatte er bei dem einen oder dem anderen verbracht; mit dem Professor sprach er über den Bibliothekar; mit dem Bibliothekar sprach er nicht über den Professor, sondern über dessen Enkelin Lucy, doch mit welchen Worten, mit welchen Gefühlen!
    »Meine Augen sind ziemlich schlecht«, sagte eines Tages sein Onkel zu ihm, »aber ich glaube zu sehen, daß du sie liebst!«
    »Ja, lieber Onkel, wie ein Wahnsinniger!«
    »Liebe sie wie ein Wahnsinniger, aber heirate sie wie ein Weiser, sobald …«
    »Sobald?« fragte Michel aufgeregt.
    »Sobald du dir eine Stellung geschaffen hast; bemühe dich um ihretwillen, wenn schon nicht für dich!«
    Michel antwortete nicht auf diese Worte; er verspürte eine dumpfe Wut.
    »Aber wirst du denn auch von Lucy wiedergeliebt?« fragte Onkel Huguenin an einem anderen Abend.
    »Das weiß ich nicht!« sagte Michel. »Wozu könnte ich auch in ihren Augen gut sein? Es gibt wirklich keinen Grund, warum sie mich lieben sollte!«
    Und an jenem Abend, an dem ihm diese Frage gestellt wurde, schien Michel der unglücklichste aller Menschen zu sein.
    Das junge Mädchen fragte sich jedoch keineswegs, ob dieser arme Bursche eine Stellung in der Gesellschaft besaß oder nicht! Wirklich, darüber zerbrach sie sich nicht den Kopf; sie gewöhnte sich mit der Zeit daran, Michel zu sehen, ihn zu hören, wenn er da war, auf ihn zu warten, wenn er nicht kam; die jungen Leute plauderten über alles und nichts. Die zwei Alten ließen es geschehen. Warum sollten sie die beiden daran hindern, einander zu lieben? Diese aber sagten es einander nicht. Sie sprachen über die Zukunft. Michel wagte es nicht, die heikle Frage der

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