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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher
Autoren: Rena Dumont
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gar nichts.«
    »Wir haben ein Visum nach Deutschland bekommen.«
    Eine elend lange Pause entsteht, längst hätten wir in die Schule gehen müssen.
    Er versteht. Seine Augen füllen sich mit Tränen. So was habe ich nicht erwartet. Ich habe ihn in den zwei Jahren noch nie weinen sehen. Er versucht es zu verstecken, kann es aber nicht, dazu ist er zu neugierig, er braucht noch mehr Informationen.
    »Ihr wollt abhauen?«, fragt er mit brechender Stimme.
    »Du bist ein kluges Bürschchen«, antworte ich.
    Du bist ein kluges Bürschchen. Du bist ein kluges Bürschchen! Was rede ich da?! Was meine ich Idiot damit? Es ist eine plumpe, dumme und ekelhafte Antwort. Ich bin den Dingen nicht gewachsen, sonst würde ich nicht solchen Mist von mir geben. Wie solche Dummheit verletzten kann. Er weint. Ich nicht. Nicht eine einzige Träne kann ich rauspressen. Niente . Je mehr er weint, umso eisiger und gelassener werde ich. Das »neue Leben« liegt vor mir, er dagegen wird zurückgestoßen, abgewiesen, einsam im »alten Leben« gelassen. Der billige Trost, dass wir uns dort, im Westen, bestimmt wiedersehen, wenn wir es nur wollen, schließlich könnte er auch ein Visum beantragen und emigrieren, klingt lächerlich. Ich weiß ganz genau, dass es das Aus für uns beide ist. Ich weiß, dass man sich mit 17 Jahren keinen Ehemann ans Bein bindet! Ich weiß, dass ich leere Versprechungen mache und wir uns sehr schnell vergessen werden. Nicht, dass es mir nicht wehtut, nein, es tut entsetzlich weh, aber ich bin fest entschlossen, wegzugehen. Ich bin realistisch. Nichts würde mich dazu bringen, meine Entscheidung zu ändern.
    Er verlässt die Wohnung. Ohne mich. Ohne mit mir zu sprechen. Jetzt bereue ich es, ihm mein Geheimnis anvertraut zu haben. Jetzt habe ich Angst, dass er uns anzeigt. Langsam schlüpfe ich in meine Schuhe, werfe mir einen Strickpullover über die Schulter und gehe in die Schule. Ich bin eine Stunde zu spät, aber das lässt sich nun mal nicht ändern. Mein Kopf scheint langsam zu platzen. Sicher, niemand kann mir hier mehr etwas anhaben, trotzdem fürchte ich mich vor allem. Meine Angst wird mit jedem Schritt, der mich der Schule näher bringt, größer. Gestern noch war ich so mutig, heute fühle ich mich klein und verletzlich, wie ein Käfer auf dem Rücken.

ICH WERFE MIT DEM PAUSENBROT
    Was werde ich »dort« sein? Als Tänzerin kann ich mir nicht mein tägliches Brot verdienen, dafür habe ich nicht genug drauf. Welcher Tanzstil ist dort gefragt? Der aus meinem Verein? Kaum. Nein, das ist kein Beruf mit Zukunft, da muss man schon Ballett beherrschen und nicht spaßeshalber ein bisschen Rock ’n’ Roll hopsen. Sängerin wäre ich zwar gerne, aber da fehlt mir die Leidenschaft und Überzeugung. Die könnte ich wiederum bei der Schauspielerei aufweisen, kann aber kein Deutsch!
    Meine Mama ist entzückend. Sie unterstützt mich bei meinem Berufswunsch, ich bin ihr dankbar dafür. Kein Mensch zwingt mich zu etwas, was mir keinen Spaß macht, kein Vater hält mir eine Predigt, dass die Schauspielerei ein brotloser Job ist, was ja durchaus stimmen mag, und keine Großeltern finden die Kunst ruchlos.
    Die Schauspielerei ist ungewöhnlich für die Menschen hier. Maria, meine Tante, zitiert gerne diesen herrlichen Satz, bei dem ich lachen muss: »Ich habe Hunger wie ein Schauspieler.«
    In die Fußstapfen meines Vaters hätte ich nicht treten können, selbst wenn ich gewollt hätte. Mein Vater lehrte Mathematik und Sport am hiesigen Gymnasium, bevor er uns verließ. In den Ferien arbeitete er als Reisebegleiter und in der Partei glänzte er als papaláš . All das liegt mir fern! Gott sei Dank habe ich ihn nie als meinen Lehrer erlebt, denn Mathe, Physik oder Geometrie waren und sind für mich in unerreichbaren Sphären. Ich ignoriere sie und bin dementsprechend schlecht darin. Oder »dumm wie Brot«, wie es Opa so galant auszudrücken pflegt.
    Meine Mutter sagt manchmal: »Sei froh, dass du keinen Vater hast, wer weiß, wie er zu dir wäre. Lieber keinen Vater als einen schlechten Vater.« Ich erinnere mich kaum an die Momente mit meinem Vater, nur, dass ich ständig geflennt habe, wenn ich mit ihm zusammen war, weiß ich noch. Für harmlosen Unfug bekam man schnell eine Ohrfeige. Er hatte etwas Militärisches an sich. Das war nun mal seine Art, eine andere hatte er selber zu Hause nie erlebt. Seine Mutter war Hausfrau von Beruf, hätte sich aber Generalin nennen können.
    Da er uns früh verließ, entkam ich
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