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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher
Autoren: Rena Dumont
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sanft mein haariges Knie. Er freut sich sicherlich auf den Morgen, wenn er mich heimlich besucht und mit mir schläft. Ich freue mich nicht, ich bin bedrückt, muss es ihm bald sagen. Wie, weiß ich nicht. Ich kann nicht emigrieren, ohne es ihm gesagt zu haben.
    Langsam wird es kühler, ich hole mir einen Pulli aus dem Spind.

DONNERSTAG DER GESCHLECHTER UND DER WAHRHEIT
    Meine Mutter geht in die »Oficína«. Ich höre die Absätze ihrer Schuhe, die ihren Beitrag zur täglich tiefer werdenden Spur im Linoleum leisten. Manche Stellen sind bereits zerfetzt, obwohl unser Plattenbau gar nicht so alt ist. Linoleum Marke Ost eben.
    Meine Mutter ist bewundernswert. Sie schafft es jedes Mal, trotz der frühen Stunde, mein geliebtes Frühstückssalatchen zuzubereiten. Ein Paprika-Tomatensalat, winzig geschnitten, mit Essig und Öl angemacht. Wir hatten vor Jahren in einem Bulgarienurlaub diesen Salat gegessen, und ich war so verrückt nach dem Zeug, dass meine Mutter sich bereit erklärte, ihrer Tochter jeden Morgen ein Stückchen Bulgarien zu servieren. Und ich nehme es Tag für Tag dankbar entgegen. Mit dem Salat hier, das ist so ’ne Sache. Es wird generell wenig Salat gegessen, bis auf Kopfsalat in gezuckertem Essigwasser. Das schlechte Öl verwendet man hier lieber zum Braten, aber nicht als Salatdressing.
    Mein Freund wird jeden Moment kommen, ich zittere. Mit niemandem bin ich im Reinen. Mutter weigert sich nach wie vor, mit mir darüber zu sprechen, alle anderen sind nicht eingeweiht, und Drobina heult, wenn ich sie nur anschaue. Gott, fühle ich mich allein.
    Pavel sitzt mittlerweile am Küchentisch mit der karierten Tischdecke. Der Sex spielte sich genauso ab wie am Donnerstag davor, alles fühlt sich ein wenig wund und nass an. Er verzehrt mein Frühstückssalatchen und weiß nicht, dass es meine Delikatesse ist. Ich gönne es ihm, er wird bald traurig sein. Der Arme. Wir haben nicht viel Zeit, spätestens in einer halben Stunde müssen wir aufbrechen. Eigentlich wollte ich ihm längst alles gesagt haben, aber ich habe es nicht über mich gebracht, stattdessen starre ich ihn ständig an und nuschle nur vor mich hin, dass ich ein Feigling bin.
    »Was redest du denn da ständig?«
    »Ich, ich rede mit mir selber, ich glaube, ich werde noch verrückt eines Tages.«
    Er kaut, lächelt mit seinen Augen, die die längsten Wimpern der Welt haben, küsst mich auf die Wange, wie ein Mann, der vollkommen zufrieden ist, und sagt: »Solange du dabei so schön aussiehst, ist es mir ziemlich egal.«
    Er macht es mir noch schwerer, als es ohnehin schon ist.
    »Pavli, ich muss dir was Wichtiges sagen.«
    Er erstarrt, kaut auf einmal nicht mehr.
    »Nein, nein, es ist nicht das, was du denkst …«, versichere ich ihm schnell.
    Ich bin überrascht, dass er an ein Kind denkt. Das hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Vielleicht ist es alles Blödsinn, dass er sich nicht drum schert, ob ich schwanger werde, vielleicht ist er genauso verkorkst wie ich und schweigt über Intimes, oder vielleicht denkt jeder Mann an ein Kind, wenn die Frau etwas Wichtiges sagen möchte.
    »Es ist was ganz anderes«, sage ich und lege behutsam meine Hand auf seine. »Ich bin nicht schwanger. Keine Angst.«
    Er atmet tief aus, kaut das bisschen Essen in der Backe weiter und räuspert sich.
    »Ich dachte schon, großer Gott. Ich krieg noch einen Herzinfarkt.«
    Er ahnt nicht, dass das, was ich ihm in der nächsten Sekunde mitteilen werde, weit schlimmer ist. Er starrt mich an. »Was? Was ist denn?«, fragt er gespannt.
    Ich sitze auf dem Stuhl mit dem blauen Bezug, der unsäglich kratzt. Ich werde immer aufgeregter, ich habe Angst vor seiner Reaktion. Endlich sage ich: »Rate.«
    Er denkt, es sei ein lustiges Spiel, rät alles Mögliche: Du hast einen anderen. Du hast eine schlimme Krankheit. Du fliegst von der Schule, spielst eine Hauptrolle in irgendeinem Film, du willst mich heiraten und so weiter. Er wird immer heiterer und seine Ideen immer fantasievoller.
    »Nein, nein, nein. Ich sage dir den ersten Buchstaben.«
    Er schweigt.
    »D.«
    »D?«
    In seinem runden Gesicht kommen die kleinen Grübchen zum Vorschein, die meine Mutter an den Schmetterling »Emanuel« erinnern.
    Leider fällt ihm nichts ein. Wie auch, ein »D« kann alles bedeuten. Ich möchte am liebsten im Erdboden versinken.
    »Ich sage dir ein Wort. Deutschland.«
    Mein Herz pocht.
    »Deutschland? Was soll mit Deutschland sein? Wieso Deutschland? Ich will nicht mehr raten. Ich verstehe
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