Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Paradies für alle: Roman (German Edition)

Paradies für alle: Roman (German Edition)

Titel: Paradies für alle: Roman (German Edition)
Autoren: Antonia Michaelis
Vom Netzwerk:
hoffe, es geht ihm gut. Oder … wenigstens besser.
    In Davids Paradies – wenn die theoretische Murmel auf der theoretischen schiefen Ebene nach deren theoretischem Kippen auf der anderen Seite hinuntergerollt wäre, wäre alles irgendwie in Ordnung gekommen in Thorstens Leben, aber ich fürchte, in der Realität kann keine Murmel so weit rollen.

    In der Nacht nach meinem letzten Gespräch mit Thorsten wachte ich davon auf, dass Davids Hund unten vor der Verandatür jaulte. Ich weckte Claas nicht, er schlief noch immer fester als ich, er würde immer fester schlafen.
    Ich ging im Nachthemd hinunter und öffnete die Verandatür, und der Hund rannte auf die Schafswiese hinaus, sobald er mich sah. »Was denn?«, fragte ich müde. »Willst du jetzt nachts spazieren gehen? Hör mal …« Aber er hörte nicht.
    Er lief zu den Weiden.
    Ich folgte ihm. Das Gras war taunass unter meinen bloßen Füßen, und ich dachte an die Nacht, in der ich nackt auf eine der Weiden geklettert war. Es schien sehr lange her zu sein. Der Himmel war voller Wolken, ich sah erst, als ich ganz nahe war, was der Hund sah: In der mittleren Weide saß jemand.
    Nein. In der mittleren Weide, Davids Lieblingsweide, machte jemand Kopfstand. Lotta, natürlich. Sie schien das häufiger zu tun.
    Aber diese Nacht war kühl, ich fror in meinem Nachthemd, und auch Lotta trug nicht mehr als einen Schlafanzug. Der Hund setzte sich hin und sah mich erwartungsvoll an.
    »Lotta?«, rief ich.
    Lotta antwortete nicht.
    Ich seufzte und begann, in die Weide hinaufzuklettern.
    Sie rührte sich nicht, stand einfach da, auf dem Kopf. Die Beine ihres Schlafanzuges wehten leicht im Nachtwind.
    »Lotta?«
    Ihre Haare waren ihr übers Gesicht gefallen, auch ihre Haare wurden vom Wind bewegt.
    »Lotta?«
    Der Hund japste am Fuß der Weide, und auf einmal bekam ich Angst.
    »Hör auf damit!«, rief ich. »Hör auf mit diesem Kopfstand! Rede mit mir!«
    Aber sie redete nicht mit mir, und da packte ich ihre Beine und zog sie zu mir herunter, und sie fiel sehr schwer in meine Arme, obwohl sie doch eigentlich leicht war für ihr Alter. Sie fiel wie ein Sack. Ich saß zwischen den Weidenästen, ein Schlafanzugkind mit dem Gewicht eines Sacks im Schoß, und das Blut schoss heiß und panisch durch meine Adern. Als ich ihm das Haar aus dem Gesicht strich, sah ich, dass das Schlafanzugkind die Augen geschlossen hatte. Die Hände, die ich in meine nahm, waren eiskalt.
    Der Hund jaulte jetzt.
    Irgendwo drinnen im Haus ging ein Licht an. Claas war aufgewacht. Sein Schlaf war also doch nicht fest genug, um meine Abwesenheit nicht zu ihm durchdringen zu lassen.
    »Lotta!«, schrie ich und schüttelte sie. »Mach die Augen auf! Verdammt! Wie lange bist du schon hier draußen? Wie lange hast du in dieser Scheißweide auf dem Kopf gestanden?«
    Da schlug Lotta die Augen auf und sah mich an. »Scheißweide«, flüsterte sie, und ich hörte ein Grinsen in diesem Wort.
    »Ja, Scheißweide!«, rief ich. »Scheißwind, scheißkalte Nacht! Was tust du hier?«
    »Ich wollte zu David«, sagte Lotta ganz leise. »Dein Mann hat gesagt, er kommt nicht wieder. Da dachte ich, ich gehe zu ihm. Wir haben uns doch versprochen, dass wir zusammenbleiben. Ich dachte, wenn ich lang genug hier bleibe, komme ich dahin, wo er ist.«
    »Oh nein«, sagte ich und wiegte sie in meinen Armen wie Celias Baby, obwohl Lotta nicht gewiegt werden wollte und auch zu groß dazu war. »Weißt du, ich wollte das auch neulich, einfach weglaufen. Aber Weglaufen zählt nicht. Du bleibst schön hier.«
    »Nee«, sagte Lotta. »Das is ja wohl meine Entscheidung! Ich meine, es war nett von dir, dass du gesagt hast, du hilfst uns in der Schule, den Kleinen und mir, weil man einen Schulverschluss braucht, um was zu werden … später … Bloß will ich gar nichts werden, das hab ich mir heute überlegt. Ich gehe zu David, ich brauche dich nicht.«
    »Aber ich!«, rief ich und schüttelte sie wieder, nur ein bisschen, weil es sich gut anfühlte, wie sie sich dagegen sträubte. Weil ich das Leben in ihrem Körper spürte. »Aber ich – Entschuldigung, das ist jetzt pathetisch – das Wort erkläre ich dir ein andermal –, aber ich brauche dich!«
    Und dann nahm ich sie mit hinunter, was gar nicht einfach war, weil sie sich weitersträubte, aber sie sträubte sich dann nur noch ein bisschen. Der Hund lief uns voraus über die Wiese, die Schafe schliefen sich stehend durch die Nacht, und ich trug Lotta auf meinen Armen zur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher