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Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich

Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich

Titel: Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich
Autoren: Hubert Wolf
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und Schauermärchen sind Sache der Romanautoren, nicht der Historiker. Und doch argwöhnen auch einige Geschichtswissenschaftler, daß der Vatikan ihnen durch seine Archivpolitik unliebsames Material vorenthalten könne oder es zumindest am nötigen Interesse für die Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit mangeln lasse. Konkret kritisieren sie die Praxis des Vatikans, zwar immer alle Akten aus der gesamten Regierungszeit eines Papstes gleichzeitig zugänglich zu machen, dabei aber keinem festen Zeitplan zu folgen. Es werden also nicht wie etwa in deutschen Staatsarchiven bestimmte Aktentypen wie Personalakten oder Sachakten nach bestimmten Fristen benutzbar, die allgemein bekannt sind. Vielmehr liegt die Entscheidung über die Öffnungbestimmter Bestände allein in der souveränen Entscheidung des jeweiligen Papstes. So wurden etwa zuletzt zu Beginn der neunziger Jahre auf Weisung Johannes Pauls II. (1978–2005) die Akten Benedikts XV. einsehbar, der von 1914 bis 1922 auf dem Stuhl Petri saß. Es folgte 1998 im Vorfeld des Heiligen Jahres 2000 und des päpstlichen Schuldbekenntnisses die von vielen als Sensation bewertete Öffnung der Archive der «Heiligen Römischen und Universalen Inquisition» sowie der Indexkongregation, die als die geheimsten Kirchenarchive überhaupt galten. Diese Bestände befinden sich jedoch nicht im Vatikanischen Geheimarchiv, sondern in der Obhut der Kongregation für die Glaubenslehre, im Palazzo del Sant’Uffizio links vom Petersplatz.
    Die Tatsache, daß die vatikanischen Akten aus der Zeit des Nationalsozialismus nicht zugänglich waren, führte zu wilden Spekulationen. Besonders hitzig wurde gestritten, als das bis heute andauernde Seligsprechungsverfahren von Pius XII. aufgenommen wurde, der von 1939 bis 1958 Papst war und zu den umstrittensten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts zählt. Für die einen war er «Hitlers Papst» (John Cornwell), für die anderen der «größte jemals lebende Wohltäter des jüdischen Volkes» (Pinchas Lapide). War Pius XII. tatsächlich, wie ihm viele vorwerfen, «der Papst, der zum Holocaust schwieg»? Hegte er vielleicht insgeheim Sympathien für den Nationalsozialismus? War er vielleicht sogar Antisemit? Um solche Fragen zu klären, wurde 1999 von Papst Johannes Paul II. eine Historikerkommission ins Leben gerufen, der drei katholische und drei jüdische Wissenschaftler angehörten. Ihre Aufgabe sollte es eigentlich sein, die umfangreichen, auf Weisung Pauls VI. (1963–1978) bereits veröffentlichten vatikanischen Akten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs durchzuarbeiten und mit Blick auf die Rolle Pius’ XII. neu zu bewerten. Doch die meisten Mitglieder der Kommission gaben sich damit nicht zufrieden, sondern forderten einen ungehinderten und unbegrenzten Zugang zum Vatikanischen Geheimarchiv. Dieser wurde ihnen verweigert mit der Begründung, daß die Bestände noch nicht archivarisch aufbereitet seien. Denn bevor die Akten zugänglich werden, müssen die Blätter gebündelt, inventarisiert, paginiert und gestempelt werden. Es kam zum Zerwürfnis, die Kommission löste sich auf.
    Nicht zuletzt die daraufhin einsetzende heftige Kritik bewog Papst Johannes Paul II. dazu, von der üblichen vatikanischen Archivpolitikabzuweichen. Im Jahr 2003 wurden im Vatikanischen Geheimarchiv vier Serien aus der Regierungszeit Pius’ XI., also aus den Jahren von 1922 bis 1939, gesondert zugänglich gemacht. Es handelte sich dabei zum einen um die Archive der Nuntiaturen, der diplomatischen Vertretungen des Vatikans in München und Berlin, die nach Rom überführt worden waren. Zum anderen wurde die vatikanische Gegenüberlieferung zu diesen deutschen Beständen in den Archiven des Päpstlichen Staatssekretariats beziehungsweise der Kongregation für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten einsehbar, den vatikanischen Schaltstellen für die politischen Beziehungen zu den Staaten in aller Welt. Sie tragen die sprechenden Titel «Baviera» und «Germania». Damit waren die Nuntiaturberichte aus Deutschland und die Weisungen an die Nuntien in Deutschland für die Zeit bis 1939 erstmals zugänglich.
    Diese Quellen sind besonders in bezug auf die Person von Eugenio Pacelli interessant. Während seiner Zeit in Deutschland schrieb er Tag für Tag oder sogar mehrmals täglich nach Rom; fast fünftausend detaillierte Berichte sind bislang im Vatikanischen Geheimarchiv aufgefunden worden. Dazu kommt, daß Pacelli nach seinem Weggang aus
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