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Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich

Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich

Titel: Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich
Autoren: Hubert Wolf
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und der bislang vorliegenden Forschungsliteratur jedoch nicht schreiben. Einerseits fehlen die Archivbestände zu den entscheidenden Jahren des Zweiten Weltkriegs noch völlig, weil diese ganz in den Pontifikat Pius’ XII. fallen. Wann diese Akten von Rom zugänglich gemacht werden, ist derzeit nicht abzusehen. Andererseits erlauben die vatikanischen Quellen zumeist nur eine Rekonstruktion des «view from Rome» (David G. Schultenover) auf Deutschland und die deutsche Situation. Es geht in ihnen um die römische Perspektive, um den Blick des Papstes, des Kardinalstaatssekretärs, des Nuntius in Berlin und München auf Deutschland und den Nationalsozialismus. Die neuen Quellen zeigen so vor allem die vatikanische Einschätzung der Vorgänge im Reich, sie dokumentieren aber auch die kurieninternen Diskussionen um eine angemessene Reaktion der Kirche auf deutsche Herausforderungen. Dieser Blick von Rom auf Deutschland und nach Rom hinter die hohen Mauern des Vatikans, wo über deutsche Angelegenheiten diskutiert wurde, ist deshalb auch die bestimmende Perspektive dieses Buches.

5. DOGMA ODER DIPLOMATIE?
KATHOLISCHE WELTANSCHAUUNG UND NS-IDEOLOGIE (1933–1939)
    Die nationalsozialistische Presse feierte im Herbst 1933 den Abschluß des Reichskonkordats zwischen der Regierung Hitler und dem Heiligen Stuhl enthusiastisch als Anerkennung des neuen Regimes und der hinter ihm stehenden Weltanschauung durch Papst und Kurie. Wenn schon der Vatikan das «Dritte Reich» so sehr schätzte, daß er mit ihm völkerrechtlich bindende Verträge abschloß, dann konnte es auch sonst keinen Staat und keine Regierung auf der Welt mehr geben, die an der Legitimität und Bonität der Herrschaft Hitlers und der NSDAP den geringsten Zweifel hegen durften. Was dem Papst als unbestreitbarer moralischer Autorität recht war, mußte auch den weltlichen Obrigkeiten billig sein. Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli trat dieser einseitigen Interpretation umgehend entgegen und stellte klar, daß es im Reichskonkordat wie bei allen anderen Konkordaten auch ausschließlich um die Regelung der sogenannten «res mixtae», der Staat und Kirche gleichermaßen berührenden Materien, gegangen sei. Mit dem Abschluß eines solchen Staatskirchenvertrags mit der deutschen Reichsregierung habe der Heilige Stuhl keinesfalls die ideologischen Grundlagen und weltanschaulichen Prinzipien des staatlichen Vertragspartners oder gar seine Regierungsform anerkannt. Ähnlich äußerte er sich auch gegenüber dem französischen Botschafter beim Heiligen Stuhl, Charles-Roux, als dieser ihn in einer Audienz am 15. Juli 1933 fragte, ob der Abschluß des Reichskonkordats als «eine Approbation der Lehren des Hitlerismus» angesehen werden dürfte: «Ich habe ihm geantwortet, daß ein Konkordat eine solche Approbation nicht bedeutet.»[ 1 ] Die weitere Instrumentalisierung des Reichskonkordats durch die Nationalsozialisten konnte der Kardinalstaatssekretär durch seine Einlassungen freilich nicht verhindern.
    Ein Wahlplakat der NSDAP wirbt im Herbst 1933 um die Gunst katholischer Wähler. Eine Begegnung zwischen dem Münchener Nuntius Alberto Vassallo di Torregrossa und Hitler anläßlich der Grundsteinlegung für das Münchener «Haus der deutschen Kunst» am 15. Oktober 1933 soll den Wählern vermitteln: Auch ihr könnt eure Ablehnung des Nationalsozialismus revidieren.
    Angesichts des Konflikts um die Bedeutung des Reichskonkordats drängen sich eine Reihe grundlegender Fragen im Hinblick auf den Umgang der Römischen Kurie mit den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts im allgemeinen und mit dem nationalsozialistischen Regime in Deutschland im besonderen auf: Konnte man tatsächlich mit einem staatlichen Partner einen völkerrechtlich bindenden Vertrag abschließen, wenn man nicht prinzipiell von dessen Legitimität überzeugt war? Folgte einem Konkordatsabschluß nicht zumindest implizit auch eine Anerkennung der Grundlagen, auf denen ein Regime beruhte? Oder konnte man auf der Seite der Kurie beim staatlichen Vertragspartner zwischen der legalen Obrigkeit, der jeder Katholik nach dem Römerbrief unbedingten Gehorsam schuldete, und der christentumsfeindlichen Ersatzreligion als Basis dieser Regierung, die man als Katholik natürlich entschieden zu bekämpfen hatte, unterscheiden? Im Grunde ging es bei all diesen Fragen um das grundsätzliche Verhältnis von Dogma und Diplomatie, von reiner Lehre und praktischer flexibler Politik innerhalb der Römischen Kurie.
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