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Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich

Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich

Titel: Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich
Autoren: Hubert Wolf
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Durfte man, wenn es im kirchenpolitischen Interesse des Vatikans lag, aus Gründen der Opportunität sogar von einer ewigen Glaubenswahrheitabstrahieren beziehungsweise sie beliebig weit auslegen? Oder mußte man einen totalitären weltanschaulichen Gegner, der zugleich als politische Religion das Christentum ablösen wollte, kompromißlos auf jedem Feld bekämpfen und auf jeden Handel mit einem solchen Teufel verzichten?
    Auch im Vatikan selbst wurden diese Fragen heftig diskutiert. Insbesondere zwei Büros waren daran beteiligt: auf der einen Seite die politische Abteilung der Kurie, das Staatssekretariat und die diesem zugeordnete Kongregation für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten, die im Apostolischen Palast selbst residierten; auf der anderen Seite das Heilige Offizium, das als oberste Glaubensbehörde für alle Fragen der katholischen Lehre, des Glaubens und der Dogmen zuständig war und auf der linken Seite des Petersplatzes im Palazzo del Sant’Uffizio seinen Dienstsitz hatte, wo bis heute die Kongregation für die Glaubenslehre untergebracht ist.
    Kein Geringerer als Eugenio Pacelli, der Kardinalstaatssekretär selbst, vertraute seinen Aufzeichnungen über eine Privataudienz bei Pius XI. vom 10. Februar 1934 an, das Staatssekretariat und das Heilige Offizium stünden schon wegen ihrer unterschiedlichen Aufgabenbereiche in einer gewissen Spannung zueinander und könnten daher naturgemäß nicht immer einer Meinung sein. «Das Sanctum Offizium ist nicht das Staatssekretariat: Es handelt gemäß seiner Natur als Lehramt», während das Staatssekretariat vor allem die politischen Interessen des Heiligen Stuhles im Auge zu behalten habe.[ 2 ] Diese Formulierungen, die in den Kontext der Indizierung von Alfred Rosenbergs
Mythus des 20. Jahrhunderts
gehören, deuten gewisse Meinungsverschiedenheiten zwischen Pacelli als politischem Kopf der Kurie und der obersten römischen Glaubensbehörde im Hinblick auf den Umgang mit dem Nationalsozialismus und seinen Vertretern an. Vielleicht kam die Verurteilung eines der Chefideologen der NSDAP politisch einfach zu einem für Pacelli ungünstigen Zeitpunkt? Der Kardinalstaatssekretär befand sich nämlich mitten in Nachverhandlungen zum Verbandsschutzartikel des Reichskonkordats, in denen es darum ging, möglichst viele katholische Vereine in Deutschland vor einer Gleichschaltung oder Auflösung zu retten und dadurch wichtige gesellschaftliche Vorposten für die Sicherung der Seelsorge zu erhalten. Das römische Buchverbot machte es dem Kardinalstaatssekretärsicher nicht einfacher, im Gespräch mit den Nationalsozialisten das für die Kirche politisch optimale Ergebnis zu erreichen. Oder zeigt sich hier doch ein grundsätzlicher Charakterzug Pacellis? Dominierte bei ihm aufgrund seiner Prägungen im Dienst der päpstlichen Politik stets die Diplomatie über das Dogma, so daß er aus Gründen der politischen Opportunität sogar auf dem Feld der eigentlich unantastbaren reinen Lehre fünf gerade sein lassen konnte? Eine bislang unbekannte Denkschrift vom Herbst 1933, die sich in den Akten des päpstlichen Staatssekretariates findet, ermöglicht einen interessanten Blick auf die innervatikanische Einschätzung des Nationalsozialismus im Spannungsfeld von «dottrina e politica», von reiner Lehre und praktischer Politik.
Katholischer Totalitarismus gegen weltanschauliche Totalitarismen
    Im Kontext der Versuche der nationalsozialistischen Propaganda, den Abschluß des Reichskonkordats als prinzipielle Anerkennung des Regimes selbst durch die Kirche zu interpretieren, entstand im römischen Staatssekretariat wahrscheinlich im September 1933 ein Gutachten, das den bezeichnenden Titel «Heiliger Stuhl und Nationalsozialismus: Lehre und Politik» trägt.[ 3 ] Der anonyme Verfasser dieses Promemorias dürfte im Kreis der Mitarbeiter der Kongregation für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten zu suchen sein. Vermutlich hatte er in Rom an der päpstlichen Universität Gregoriana oder einer anderen einschlägigen Einrichtung Theologie studiert. Jedenfalls zeichnete er sich durch eine umfassende neuscholastisch geprägte theologische Bildung aus, wie der mehrfache Bezug auf Thomas von Aquin und seine
Summa theologiae
in seinem Votum belegt.
    «Je größer die Zugeständnisse der Kirche auf politischer Ebene» im Reichskonkordat seien, so der Gutachter, «desto wichtiger ist es, die Unveränderlichkeit der katholischen Lehre hervorzuheben». Deshalb
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