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Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich

Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich

Titel: Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Wolf
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Staates die Eigenschaften der ‹societas perfecta› usurpiert, die ausschließlich die Kirche Christi vertritt.» Deshalb sprächen katholische Soziologen zu Recht von einer modernen Staatsvergötterung als neuer Form von Idolatrie. In diesem falschen Kollektivismus sah der Gutachter enge Berührungspunkte der «Hitlertheorie der Gleichschaltung mit dem marxistischen Kommunismus». Das Christentum kenne aber keine kollektiven Seelen, ihm gehe es ausschließlich um das Heil des einzelnen. Das letzte Ziel des Christen, seine Heimat, sei der Himmelund nicht der totale Staat als «höchstes Endziel aller menschlichen Bestrebungen», wie Hegel ihn propagiert habe. Das politische Ideal der katholischen Kirche sei eben nicht der
Principe
Machiavellis, sondern die
Civitas Dei
des heiligen Augustinus.
    Hier bezieht sich der Gutachter, ohne dies ausdrücklich zu vermerken, auf eine Ansicht Pius’ XI. Dieser hatte es in einem in den
Acta Apostolicae Sedis
veröffentlichten Handschreiben an Kardinal Schuster, den Erzbischof von Mailand, am 26. April 1931 mit Nachdruck abgelehnt, dem Staat eine Totalkontrolle über die «Gesamtheit der Staatsbürger», ihr «persönliches, familienmäßiges, geistliches und übernatürliches Leben» zuzugestehen. Dieser «objektive Totalitarismus» komme auch einem totalitären Staat wie dem faschistischen Italien keineswegs zu. Ein solcher staatlicher Anspruch wäre «absurd» und geradezu «monströs». Hier sei allein die katholische Kirche aufgrund der ihr von Jesus Christus übertragenen Kompetenz zuständig.[ 7 ]
    In seinem Promemoria an die deutsche Reichsregierung vom 14. Mai 1934 bezog sich Pacelli bezeichnenderweise nicht nur auf das Handschreiben des Papstes, sondern auch auf das einschlägige Aktenkonvolut im Staatssekretariat, das auch das anonyme Gutachten über den kirchlichen Totalitarismus enthielt. Eine «Totalität des Regimes und des Staates, die auch das übernatürliche Lebensgebiet umfassen wollte», sei absurd und stelle eine «wirkliche Ungeheuerlichkeit» dar. Deshalb sei auch die «Verabsolutierung des Rassegedankens und vor allem seine Proklamation als Religionsersatz ein Irrweg …, dessen Unheilsfrüchte nicht auf sich warten lassen werden». Als Beleg für den totalitären Anspruch Hitlers und des Nationalsozialismus, der auch den Bereich der Religion umfaßte, in dem der Führer zum neuen Messias stilisiert wurde, zitierte Pacelli in seinem Promemoria das oben angeführte Lied der Hitlerjugend.[ 8 ]
    Aufgrund des heilsnotwendigen Totalitarismus der katholischen Kirche und des falschen Totalitarismus des Nationalsozialismus könne vom Abschluß des Reichskonkordats nicht auf eine Anerkennung des Regimes geschlossen werden – so lautete das Resümee des anonymen Gutachters. Zwischen der klaren dogmatischen Abgrenzung der katholischen Kirche vom Nationalsozialismus, der lehramtlichen Verwerfung seiner Ideologie und dem politisch-taktisch motiviertenPakt mit dem Regime zur Sicherung des Apostolats und der Seelsorge unter den schwierigen Bedingungen der totalen Gleichschaltung sei streng zu unterscheiden. Allerdings brachte das Promemoria abschließend die Befürchtung zum Ausdruck, das Schweigen des Heiligen Stuhles zur nationalsozialistischen Rassenlehre könnte in der Öffentlichkeit und bei den einfachen Katholiken als Billigung dieser Ideologie nach dem alten Grundsatz «Indem sie schweigen, stimmen sie zu» aufgefaßt werden. Um diese Vermischung von Doktrin und Politik, Dogma und Diplomatie zu vermeiden und den Gläubigen klarzumachen, daß das Reichskonkordat nichts mit einer kirchlichen Billigung der nationalsozialistischen Weltanschauung zu tun habe, verlangte der Gutachter vehement «eine Ansprache oder eine schriftliche Äußerung seitens des Heiligen Vaters», in der die «Unterschiede zwischen dem deutschen Nationalsozialismus und dem Christentum» deutlich herausgestellt würden.
    Diese öffentliche Äußerung des Papstes ist zunächst nicht erfolgt. Es sollte vier Jahre dauern, bis Pius XI. in der Enzyklika «Mit brennender Sorge» 1937 in feierlicher Form die Unvereinbarkeit von Nationalsozialismus und Katholizismus betonte. Immer wieder ist diese verspätete Reaktion auf die unterschiedlichen Temperamente und politischen Konzeptionen des Ratti-Papstes und seines Kardinalstaatssekretärs zurückgeführt worden. Wie Pacelli das grundsätzliche Verhältnis von «dottrina e politica», von reiner Lehre und politischer Machbarkeit, auffaßte,

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